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Lächerlichkeit, Erbärmlichkeit, Geschwätzigkeit, die Tücke,
der Betrug und an seine Stelle trete die Magie, die
Prophetie, und alle für gut und nützlich zu
erachtende Wahrsagung und Prognostik der
Erfolg e. “ x )
Saulin: Ich möchte wol, liehe Sofia, Deine Meinung über die
Metapher des Raben hören, welche sich zuerst bei den
Ägyptern findet, sodann von diesen in Form einer Er
zählung von den Hebräern übernommen ist, mit denen
die Kunde von ihm nach Babylonien hinübergewandert zu
sein scheint, und der schliesslich auch in Gestalt einer
Fabel von denen übernommen ist, die in Griechenland
dichteten. Die Hebräer erzählen uns doch von einem
Raben, der aus der Arche des sogenannten Noah entsandt
sei, um zu sehen, ob bereits die Wasser sich verlaufen
hätten, davon die Menschen so viel gesoffen hatten, dass
sie krepieren mussten; das Tierchen sei dann aus Lust
an den vielen Kadavern fortgeblieben und von seiner
Gesandschaft und seinem Botendienst nicht wieder zurück
gekehrt. Diese Erzählung scheint derjenigen, welche die
Ägypter und Griechen geben, völlig entgegengesetzt zu
sein; denn diesen nach soll der Rabe von einem Gotte,
der Apollo genannt wird, aus dem Himmel entsandt sein,
um zu sehen, ob sich in einer Zeit, da selbst die Götter
beinahe vor Durst umkamen, wieder Wasser finden lasse,
und dann soll er aus Gier nach Feigen Tage lang aus
geblieben und zuguterletzt noch zurückgekehrt sein, ohne
Wasser mitzubringen, nachdem er, wie ich meine, gar das
Gefäss verloren hatte.
Sofia: Ich will mich für heute nicht damit bemühen, diese
ganz tiefsinnige Metapher zu erklären, 2 ) dies eine jedoch
will ich Dir sagen, dass der Erzählung der Ägypter und
Hebräer ganz dieselbe Bedeutung zu Grunde liegt. Denn
: ) Der Rabe, als Sinnbild der Prophetie, kommt bekanntlich auch
in der nordischen Mythologie vor, — als Rabe Odhins.
2 ) Die esoterische Bedeutung des Mythus bezieht sich wahrscheinlich
auf den uralten Glauben von der Präexistenz der Menschenseele und ihrer
Inkarnation; die Feige ist ein Symbol der sinnlichen Liebe. Vergl. Nork,
„Vergleichende Mythologie", vergl. Note 4. zum I. Dialog, Abschnitt II, S 69.