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Die Vervollkommnungsfähigkeit des Individuums ist un
endlich. Sein Ziel ist zu werden, wie Gott.*) Licht auf den
Weg zur Gottheit giebt Bruno in seinem „hohen Liede“ der
Ethik, den „Furori heroici“, einer „Heilslehre für freie Geister.“
Hier ist es die Schönheit, welche erkannt wird als anschau
liche Einheit von Form und Materie, also als göttliches Wesen;
„der Geist, der das Schöne erblickt und empfunden hat, schreitet
unaufhörlich fort vom erschauten Schönen, das eben deshalb
nur ein endliches durch Teilnahme am Ganzen schönes ist,
zum Wahrhaft-Schönen, das keine Schranke noch Grenze
kennt.“ „Keine leichte und gewöhnliche, vielmehr die schwie
rigste auf Vollendung der Persönlichkeit des Menschen ab
zielende Arbeit bildet unsere Aufgabe, wenn wir den Abglanz
und die Mitteilung der Gottheit weder von irgend einer ägyp
tischen, syrischen, griechischen oder römischen Person, noch
gar durch den Zauber eines Trankes oder einer Speise * 2 ) zu
erlangen hoffen, wie die stumpfsinnige gläubige Menge unseres
Zeitalters, und uns nicht damit beruhigen, menschliche Ein
bildungen anzubeten: sondern in dem erhabenen Tempel des
Allmächtigen, dem unendlichen Ätherraum, der grenzenlosen
Alles schaffenden und Alles werdenden Natur mit allen ihren
Gestirnen, Welten und Lebewesen die Ordnungen und
Ziele, die Eine den Höchsten umtönende und im Reigentanz
umkreisende Harmonie zu begreifen trachten. Aus der
ewigen unermesslichen und unabzählbaren Wirkung des sicht
baren Weltalls erschHessen wir dann aber jene ewige
Schönheit und Majestät, der ein endliches Haus nimmer
ausreichen, deren Heiligkeit zu umfassen und anzubeten eine
geschlossene Zahl von Geistern nimmer genügen würde. Wohlan,
richten wir unsere Augen stets auf das vielförmige Abbild dei
all-einen Gottheit, die uns, die wir im Schiff der Seele dahin
segeln, als Leuchtturm strahlt, die Vernunft führe das Steuer,
im Spiegel der Wissenschaft fange sie ihr Licht auf, bewahre
im Gedächtnis das Vergangene, erforsche das Gegenwärtige
*) So sagt auch Christus: „Ihr sollt vollkommen sein, wie Gott
vollkommen ist.“
2 ) Anspielung auf das Dogma vom Abendmahl. Vergl, „Spaccio“.
Seite 319 oben.