Einleitung.
Die Astronomie war bis in das vorige Jahrhundert hinein eine univer
selle Wissenschaft, insofern sie alle Erscheinungen umfaßte, die sich inner
halb und außerhalb der Atmosphäre abspielten, dabei aber auch die Erde
als selbständigen Himmelskörper in den Kreis ihrer Forschungen zog. Das
19. Jahrhundert, in dem sich ein ungeheurer Aufschwung des Naturerkennens
vollzog, hat auch für die Astronomie, insbesondere aber für gewisse Spezial
zweige derselben, das Arbeitsgebiet vervielfacht, so daß es schließlich für
einen Forscher zur Unmöglichkeit wurde, den Überblick über das Ganze
zu behalten und sich auf allen Einzelgebieten zu betätigen; selbst ein Bessel
oder Gauss würde heute dazu nicht mehr imstande sein.
Es war daher eine unausbleibliche Folge dieses Aufschwungs, daß die
jenigen Gebiete der älteren Astronomie oder Astrometrie, die nur formal
mit ihr zusammenhingen, sich abtrennten und als selbständige wissen
schaftliche Forschungsgebiete auftraten. Die drei selbständig gewordenen
Spezialgebiete sind, wenn wir von der Geophysik absehen, die Geodäsie,
die Meteorologie und die Astrophysik. Die Geodäsie betrachtet, im
weitesten Sinne genommen, die Begrenzung des Erdkörpers und dessen
Eigenschaften als ihr Arbeitsgebiet. Sie ermittelt die Figur und Größe der
Erde mit Hilfe von Gradmessungen und Schwerebestimmungen und stellt
die Abweichungen und zeitlichen Veränderungen, denen die festen und flüs
sigen Teile der Erdoberfläche unterworfen sind, fest. Sie steht mit der Astro
metrie in unmittelbarstem Zusammenhänge, indem ihre Aufgaben nur unter
Benutzung der sorgfältigsten astronomischen Orts- und Zeitbestimmungen
zu lösen sind. Die Meteorologie beschäftigt sich mit der Feststellung und
Untersuchung aller Vorgänge in der Atmosphäre, die, so verwickelt sie im
allgemeinen sind, wesentlich von der Bestrahlung durch die Sonne abhängen.
Durch das zur Meteorologie gehörende Gebiet des Erdmagnetismus hat sie
auch heute noch enge Beziehungen zur Astrophysik.
Die Astrophysik ist die jüngste der erwähnten drei Wissenschaften, wenn
ihre ersten Anfänge naturgemäß auch weit zurückreichen. Ihr eigentlicher
Beginn ist in den Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zu
setzen; er ist die unmittelbare Folge der KiRCHHOFFSchen Begründung der
Spektralanalyse. So einfach die Übersetzung des Wortes Astrophysik in die
Lehre von der Anwendung der Physik einschl. Chemie auf die Himmels
körper ist, so schwierig ist die genaue Feststellung der Grenzlinie zwischen
Astrometrie und Astrophysik, da beide Gebiete an den verschiedensten Punk
ten ineinander übergreifen. Man kommt vielleicht am besten zum Ziele, wenn
man versucht, das Gebiet der Astrometrie abzugrenzen und alles dasjenige,
was außerhalb dieser Grenzen liegt und nicht schon den erwähnten Ab-
Sch ei n er-Graf {, Astrophysik. 3. Aufl. 1