V. Die Sonne
219
Die Sonne ist ein glühend-flüssiger Körper, umgeben von einer glühen
den Atmosphäre; in der letzteren schwebt eine fortdauernd sich erneuernde
Decke von leuchtenden kumulusartigen Wolkengebilden in einem gewissen
Abstande von der glühend-flüssigen Oberfläche. An solchen Stellen, wo die
Wolkendecke sich vermindert oder auflöst, entstehen durch kräftige Aus
strahlung auf der glühend-flüssigen Oberfläche schlackenartige Abkühlungs
produkte. Dieselben liegen folglich tiefer als das allgemeine Niveau der
leuchtenden Wolkendecke und bilden die Kerne der Sonnenflecken. Neben
diesen abgekühlten Stellen entstehen absteigende Luftströme, welche um die
Küsten der Schlackeninseln eine Zirkulation einleiten, der die Penumbra
ihren Ursprung verdankt. Die innerhalb dieses Zirkulationsgebiets gebilde
ten wolkenartigen Abkühlungsprodukte werden hinsichtlich ihrer Gestalt und
Temperatur durch die Natur der strömenden Bewegung bestimmt. Sie müs
sen uns daher infolge ihrer Temperaturerniedrigung weniger leuchtend als
die übrige Wolkendecke der Sonnenoberfläche und durch ihre abstürzenden
Bewegungen über dem Fleck trichterartig vertieft erscheinen.
Die Protuberanzen betrachtet Zöllner als gewaltige Wasserstofferup
tionen aus dem Innern der Sonne durch die flüssige Oberfläche hindurch;
er sieht dieselben daher auch als die Quelle lokaler Gleichgewichtsstörungen
in der Sonnenatmosphäre an.
Die Tatsache, daß die Sonne nicht wie ein fester Körper rotiert, sondern
daß ihre Winkelgeschwindigkeit vom Äquator nach den Polen zu immer
mehr abnimmt, sucht Zöllner als das Resultat einer mechanischen Reaktions
wirkung der atmosphärischen Strömungen auf die flüssige Sonnenoberfläche
zu erklären. Die anschließende mathematische Untersuchung hat natürlich nur
Bedeutung unter der Annahme einer flüssigen Sonnenoberlläche; sie ist da
her für unsere heutigen Anschauungen nur noch von geringem Interesse.
Secchis Sonnentheorie. Wenn an dieser Stelle den Ansichten Secchis
ein breiterer Raum zugewiesen wird, so ist dies darin begründet, daß kaum
ein anderer Forscher des vergangenen Jahrhunderts sich auch praktisch so
gründlich mit der Sonnenphysik und gleichzeitig auch mit der Physik der
Fixsterne befaßt hat, wie gerade Secchi.
Secchi hat sich als einer der ersten von der Annahme einer feurig-flüssi
gen Sonnenoberfläche freigemacht; er betrachtet die Sonne im wesentlichen
als einen Gasball mit nach außen abnehmender Dichtigkeit und die Photo
sphäre nur als eine spezielle Schicht dieses Gasballes oder der Sonnenatmo
sphäre. Seine Ansichten sind im Gegensätze zu Kirchhoff und Zöllner
auf außerordentlich zahlreiche eigene Beobachtungen gegründet und ver
dienen schon deshalb heute noch Beachtung. Wenn auch einige seiner
Schlüsse nicht mehr haltbar sind, so spiegelt seine Theorie in ihren wesent
lichen Teilen noch die Ansichten der Mehrzahl der jetzigen Astrophysiker
wieder. In manchen Einzelheiten hat Secchi seine Ansichten im Laufe der
Zeit geändert, so daß ein einheitliches Bild derselben kaum zu geben ist;
wir wollen hier seinen Darlegungen folgen, wie er sie um das Jahr 1877
ausgesprochen hat.
Die Sonne ist ein leuchtender Körper von enormer Temperatur, in dem
die unseren Chemikern und Physikern bekannten Substanzen, sowie andere
noch unbekannte Stoffe sich in einem dampfförmigen Zustande befinden