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B. Die Ergebnisse der astrophysikalischen Forschung
Fehler und Vorzüge seiner Anschauungen ohne weiteres zu erkennen. In
bezug auf mathematisch-physikalisches Denken sind seine Darlegungen viel
leicht ein Rückschritt gegen Zöllner; aber außer dem bereits erwähnten
Vorzug seiner Freimachung von der Idee des feurig-flüssigen Oberflächen
zustandes der Sonne liegt ein weiteres großes Verdienst in dem ausdrück
lichen Hinweise, daß die Sonnenflecken, obgleich sie das augenfälligste
Phänomen auf der Sonne bilden, doch durchaus nicht als die Hauptsache
zu betrachten sind.
Neuere Ansichten. Die Schmidt sehe Refraktionstheorie. Es ist eine
Errungenschaft der neueren Theorien, daß man sich des aus vielen Be
obachtungen ableitbaren Umstandes bewußt wird, daß sich die Sonnen
atmosphäre, soweit sie der Beobachtung zugänglich ist, in einem außer
ordentlich verdünnten Zustande befindet, der höchstens in seinen untersten
Teilen der Dichtigkeit unserer Atmosphäre an der Erdoberfläche gleich
kommen mag.
Auf Grund dieser Tatsache ist eine große Anzahl von Sonnentheorien
aufgestellt worden, von denen etwa diejenigen von Faye, Young und Lang-
ley zu erwähnen sind. In allen diesen Hypothesen nähern sich die Ansich
ten immer mehr der Überzeugung, daß die Gesetze, die unsere irdische
Atmosphäre beherrschen, in gewissem Maße auf die Sonnenatmosphäre an
wendbar sind. Die Zirkulation in der Erdatmosphäre verdankt ihren Ur
sprung den aufsteigenden Luftströmen der heißen Zone, die in der Richtung
nach den Polen zu abfließen und mit den tieferen, zurücklaufenden Polar
strömungen Zusammentreffen. Eine ungemeine Komplikation entsteht nun
in den irdischen meteorologischen Verhältnissen durch den Einfluß des ver
schiedenen Sonnenstandes zu den verschiedenen Jahreszeiten und durch den
Einfluß schon vorhandener Bewölkung, da ja die Wärmequelle, welche die
aufsteigenden Ströme bedingt, außerhalb der Atmosphäre liegt. Auf der
Sonne sind die entsprechenden Verhältnisse einfacher, da die Wärmequelle
im Innern sitzt.
Die geschichtliche Entwicklung der neueren Sonnentheorien verläuft dem
nach in der Richtung, sich immer mehr von dem gewaltigen Eindruck, den
die in ungeheurer Entfernung sich abspielenden Sonnenphänomene auf
uns machen, zu befreien und alles als Erscheinungen, die zwar in großem
Maßstabe, aber dafür in sehr verdünnter Materie in den oberen Schichten
einer Atmosphäre auftreten, zu deuten. In dieser Richtung ist man, aller
dings ohne rechte Anerkennung seitens der Astrophysiker, bereits zu den
äußersten Konsequenzen gegangen: die Erscheinungen werden überhaupt
nicht mehr als reell vorhanden betrachtet, sondern als optische Täuschun
gen, denen ganz andere Ursachen zugrunde liegen, als der Augenschein
lehrt. Der Ausgangspunkt dieser Ansichten ist die Schmidt sehe Sonnen
theorie, nach der die Sonne ein glühender Gasball mit kontinuierlich ab
nehmender Dichtigkeit nach außen hin ist, ohne irgendeine physikalisch
unterscheidbare Schicht. Die Photosphäre existiert in Wirklichkeit nicht, son
dern kommt nur durch die allgemeine Eigenschaft der Strahlenbrechung in
einem solchen Gasball scheinbar zustande. Die mathematische Grundlage
dieser Theorie ist übrigens bereits 1860 von Kummer gegeben worden.
Zum Verständnis der ScHMiDTSchen Theorie braucht nur an die bekannte