VI. Die Planeten, Monde und Kometen
251
mittlerer Phase mehrfach unscharf gesehen worden, indem merkliche Hellig
keit bis ziemlich weit auf den nicht direkt beleuchteten Teil der Venusscheibe
hinübergriff. Vor allem beweisend ist aber die bei Gelegenheit der Venus-
vorübergänge vor der Sonne gemachte Beobachtung, daß die dunkle Venus
scheibe kurz vor dem Eintritt mit einem hellen Saume umgeben erscheint,
wie dies nur infolge von Lichtbre
chung in einer Atmosphäre der Fall
sein kann, ferner die Tatsache, daß
bei unteren Konjunktionen die Hör
nerspitzen der dünnen Sichel den
Venusrand um mehr als 180° um
fassen (Abb. 165); man hat hieraus
sogar die Refraktion in der Venus
atmosphäre zu berechnen versucht,
die sich als nahe doppelt so stark
als auf der Erde ergeben hat.
Der Mangel an einigermaßen
deutlichen und konstanten Flecken
macht es wahrscheinlich, daß wir
die eigentliche Oberfläche des Pla
neten Venus gar nicht sehen, son
dern daß dieselbe durch eine die
ganze Kugel umgebende dichte Wolkenhülle verdeckt ist. Zur völligen Ge
wißheit wird diese Vermutung durch die photometrischen Beobachtungen,
die eine außerordentlich hohe Albedo, nämlich rund 0.7, ergeben haben. Es
ist das ein Wert, der demjenigen hell erleuchteter Wolken wenig nachsteht.
Noch eine besondere und bisher nicht genügend erklärte Erscheinung
hat der Planet Venus geboten. In der Nähe der unteren Kpnjunktion, wenn
also die erhellte Sichel sehr schmal ist, hat man bei Tagesbeobachtungen
auch den dunklen Teil der Venusoberfläche erhellt gesehen, in ähnlicher
Weise, wie dies bei unserem Monde in der entsprechenden Stellung der Fall
ist. Während es sich bei letzterem um die Beleuchtung der dunklen Mond
oberfläche durch die nahe voll erleuchtete Erde handelt, ist diese Erklärung
für die Venus nicht sehr wahrscheinlich, obgleich sie mehrfach herangezogen
worden ist. F. W. Very hat aus dem Erdlicht im Monde die Erdalbedo ab
geleitet und findet sie nahe derjenigen des Jupiter. Hieraus folgt, daß von
der Venus aus gesehen die Erde im günstigsten Falle die Helligkeit — 6.5 m ,
der Mond — 2.0 m hat. Das Gesamtlicht dieses Doppelsterns entspricht etwa
dem Lichte der Mondsichel drei Tage nach Neumond, ist also sicher nicht
intensiv genug, um bei Tageslicht im Widerschein an der Wolkendecke der
Venus wahrnehmbar zu sein.
Da die Erscheinung nicht regelmäßig auftritt, ist auch schon an eine op
tische Täuschung gedacht worden, vielleicht liegt aber die Wahrheit in der Mitte.
Das aschfarbene Licht ist nur bei sehr kleiner Phase beobachtet worden, d. h.
also dann, wenn die Beleuchtung der Rückseite bis nahe an den jenseitigen
dunklen Rand reicht. Durch die vorhandene starke Atmosphäre kann sich
das Licht z. T. bis über diesen Rand ausbreiten, so daß der ganze Umriß er
leuchtet erscheint; diese Beleuchtung wird sich nicht weit in die dunkle
Abb. 165. Venus in unterer Konjunktion
(April 1921).