VI. Die Planeten, Monde und Kometen
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fenden Gegenden die gleiche Lage zum Beobachter einnehmen. Sehr deut
lich zeigen derartige Veränderungen die Inseln Hellas und Argyre, die zu
weilen am Rande so hell erscheinen, daß sie schon fälschlicherweise als
Polarflecke aufgefaßt wurden, in der Nähe des Zentralmeridians dagegen oft
in dunkelbrauner Färbung beobachtet worden sind. Es ist bemerkenswert,
daß die sog. Meere, also die blaugrauen Gebiete, beim Übergang von den
Rändern nach dem Zentralmeridian derartige höchst seltsame Farbenände
rungen gar nicht oder nur in Ausnahmefällen erleiden.
Neben diesem sich ständig wiederholenden Wechsel treten aber mit Sicher
heit auch langsame Veränderungen auf. Die Landschaften Libya, Thaumasia,
das Pandorae Fretum, der Solis Lacus u. a. scheinen besonders häufig in
Umriß und Farbe zu wechseln. Die Vergleiche von Darstellungen ein und
derselben Gegend werden jedoch dadurch erschwert, daß die Neigung der
Planetenachse zur Erde sich fortwährend ändert und sich erst nach 18 Jah
ren wiederholt, wodurch sehr wesentliche Auffassungsunterschiede auftreten.
Es unterliegt heute kaum noch einem Zweifel, daß ein Teil der früher beob
achteten angeblichen Veränderungen auf diesen Umstand zurückzuführen,
also kaum reell ist. Da während der günstigsten Oppositionen der Südpol,
in den ungünstigsten der Nordpol des Mars uns stark (um 25°) zugekehrt
ist, sind nicht einmal die üblichen zeichnerischen Darstellungen der beiden
Halbkugeln als gleichwertig anzusehen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die auffälligen Verände
rungen der weißen Polarkappen des Mars mit den Jahreszeiten Zusammen
hängen. Die letzteren sind in ihrem Verhalten denjenigen unserer Jahres
zeiten sehr ähnlich, da die Neigung der Marsbahn gegen den Marsäquator
nahe 25° beträgt, also nur unwesentlich größer ist als bei der Erde. Wäh
rend nun im großen und ganzen die Ausdehnung der Polarkappen den Jah
reszeiten entspricht, indem sie im Winter beträchtlich wachsen, im Sommer
aber bis zum Verschwinden abnehmen, so verläuft die Erscheinung doch
keineswegs regelmäßig. Die Anomalien bestehen hauptsächlich darin, daß
die Maxima und Minima in der Ausdehnung der Polarflecken durchaus nicht
mit den berechneten Zeiten zusammenfallen, sondern daß Abweichungen,
die bis zu Monaten gehen, Vorkommen. Sie beruhen eben auf meteorolo
gischen Einflüssen, die ja bekanntlich auch auf der Erde niemals im einzel
nen, sondern nur im Mittel vieler Jahre gesetzmäßig verlaufen. Die Ausdehnung
der weißen Polarflecken variiert vom kleinsten, nicht mehr wahrnehmbaren
Durchmesser bis zu mehr als 40° Polabstand. Sie sind keineswegs immer
rund oder von regelmäßiger Gestalt, sondern häufig ausgezackt, zuweilen so
gar von einer dunklen Unterbrechung durchzogen. Die Ränder sind manch
mal scharf, manchmal verwaschen, sehr oft wird eine dunklere Umrandung
wahrgenommen. Der Mittelpunkt fällt durchaus nicht immer mit dem wahren
Pol zusammen, sondern liegt häufig stark exzentrisch.
Eine merkwürdige Erscheinung der Marsoberfläche bieten die sogenannten
Kanäle, graue oder bräunliche Linien und Streifen, die besonders die nördliche
rötlich gefärbte Halbkugel desPlaneten durchqueren; sie haben besonders in der
Laienwelt und bei solchen astronomischen Schriftstellern, die selbst den Mars nie
in einem Fernrohr gesehen haben, ein außerordentliches Aufsehen erregt und
ohne jeden Grund zu den abenteuerlichsten Hypothesen Veranlassung gegeben.
Scheiner-Graff, Astrophysik. 3. Aufl. 18