Full text: Gesammelte Werke (1. Band)

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Abhandlungen. 
sechster oder siebenter Grösse, deren Dasein das schärfste Auge bei 
der heitersten Nacht nur nocli kaum ahndet. Viele dieser kleinen Sterne 
mögen an sich kleiner sein, als die grösser erscheinenden: aber die 
meisten erscheinen uns doch nur deswegen so viel kleiner, weil sie so 
viel weiter entfernt sind, und so sehen wir schon mit blossem Auge 
Sterne, die zwölf bis fünfzehn Mal weiter von uns abstehen, als die 
Sterne erster Grösse. Durch Fernröhre werden uns immer mehr und 
immer kleinere Fixsterne sichtbar, je vollkommener diese Werkzeuge 
sind; und unsere Vernunft musszugeben, so schwer es der Einbildungs 
kraft auch fällt, sich so grosse Abstände und Räume noch deutlich vor 
zustellen, dass Herschel mit seinen Riesenteleskopen noch Gegenstände 
am Himmel erblickte, die 1500, ja einige tausend Mal weiter von uns 
entfernt sind, als Sirius oder Arcturus. 
Aber ist damit der Scharfblick des nun verewigten Herschel’s 
den Grenzen des Weltalls nahe, oder auch nur merklich näher gekommen? 
AVer kann dies glauben? Ist der Raum nicht unendlich? Lassen sich 
Grenzen desselben denken? Und ist es denkbar, dass die schaffende 
Allmacht diesen unendlichen Raum leer gelassen haben sollte? Ich will 
den grossen Kant statt meiner sprechen lassen: „AVo wird die Schöpfung 
selbst auf hören?“ sagt Kant. „Man merkt wohl, dass, um sie in einem 
Verhältniss mit der Macht des unendlichen AA r esens zu denken, sie gar 
keine Grenzen haben muss. Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungs 
kraft Gottes nicht näher, wenn man den Raum ihrer Offenbarung in 
eine Sphäre, mit dem Radius der Milchstrasse beschrieben, einschliesst, 
als wenn man ihn in eine Kugel beschränken will, die einen Zoll im 
Durchmesser hat. Alles, was endlich ist, was seine Schranken und 
sein bestimmtes Verhältniss zur Einheit hat, ist von dem Unendlichen 
gleich weit entfernt. Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem 
unendlich kleinen Theil ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit 
zu versetzen, und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren Un- 
ermesslichkeit von Naturen und AVelten unthätig und in einem ewigen 
Mangel von Ausübung verschlossen zu denken. Ist es nicht vielmehr 
anständig, oder besser zu sagen, nothwendig, den Inbegriff der Schöpfung 
also anzustellen, als er sein muss, um ein Zeugniss von derjenigen Macht 
abzugeben, die durch keinen Maassstab kann abgemessen werden? Aus 
diesem Grunde ist das Feld der Offenbarung göttlicher Eigenschaften 
eben so unendlich, als diese selber sind. Die Ewigkeit ist nicht hin 
länglich, die Zeugnisse des höchsten Wesens zu fassen, wenn sie nicht 
mit der Unendlichkeit des Raumes verbunden wird.“ 
Soweit Kant. Es bleibt also höchst wahrscheinlich, dass nicht blos 
der Theil des Raumes, den unser auch noch so stark bewaffnetes Auge 
übersehen hat, oder übersehen kann, sondern der ganze unendliche Raum
	        
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