690
Anhang. Abhandlungen medicinischen Inhalts.
werde. Zudem kannte er den Magnetismus nur aus einer stündlichen
Unterredung, und so sehe ich wahrlich nicht, was sein Urtheil über
die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit dieses Mittels eben erheblich
machen könnte. Ganz mit Unrecht behauptet Herr Pastor Nicolai, der
Arzt sollte nur vom Arzte lernen. In einer Wissenschaft, wo Gewissen
und nöthige Vorsicht so selten erlauben, Versuche anzustellen, muss
man jeden Anlass nützen, aus dem, was fremdes Versehen, Zufall, Un
glück, Unwissenheit, unüberlegte Dreistigkeit oder selbst Bosheit hervor
gebracht hat, nützliche Folgen für die Heilkunde zu ziehen; und diesen
Quellen hat sie, wo nicht das Mehrste, doch gewiss sehr viel zu danken.
Sehr oft muss also der Arzt von denen lernen, die keine Aerzte sind;
aber mit Recht glaube ich behaupten zu dürfen, der Arzt solle nur über
den Arzt und die Mittel, die er an wendet, urtheilen.
Dass also Herr Pastor Nicolai meine freundschaftliche Bitte, nicht
voreilig über den Magnetismus zu urtheilen, eine Bitte, die er so mit
Unrecht eine Warnung in einem hohen Tone nennt, zu befolgen, nicht
für gut gefunden hat, dies kann mir nur um der guten Sache willen,
die er zugleich verficht, leid tliun. Gute Sache nenne ich nämlich die
Sache der gesunden Vernunft gegen abenteuerliche und abgeschmackte
Folgerungen aus den an sich wahren Phänomenen des thierischen Magne
tismus. Und diese gute Sache leidet doch wohl sehr unter seiner vor
eiligen Entscheidung über die Phänomene selbst, die er so wenig kannte.
Gewiss ist es ein sehr missliches, gefährliches und schädliches Mittel,
Aberglauben und Schwärmerei zu bekämpfen, wenn man, um die Freunde
derselben zu widerlegen, Dinge leugnet, die sich nun einmal nicht
leugnen lassen.
Jene heftigen Angriffe auf den Magnetismus selbst kann ich nicht
anders beurtheilen, wie das ehemalige, eben so gut gemeinte Verfahren
der Gegner der Inokulation. Die Gründe, die man damals vorbrachte,
sind denjenigen, die man gegen den Magnetismus gebraucht hat, nicht
blos dem Gewichte, sondern selbst dem Inhalt nach, ganz ähnlich. Auch
diese wohlthätige Operation haben wir nicht von Aerzten, sondern von
einem rohen, halbwilden Volke gelernt. — Bei der Einimpfung ist es
wirklich der Fall, dass man durch sie nicht eine Krankheit zu heilen,
sondern hervorzubringen sucht, ein Vorwurf, den man dem Magnetismus
ganz mit Unrecht gemacht hat. Auch damals behauptete man, dass
bei der Inokulation nicht auf die Ordnung geachtet werde, die Gott in
der Natur gelegt hat. Auch damals drohte man mit den schrecklich
sten Folgen, die sie künftig haben sollte, und auch schon damals wusste
man hundert Erzählungen anzuführen, wodurch man die Einimpfung
bald als unnütz, bald als gefährlich vorzustellen suchte.
Ueber die Inokulation hat der Erfolg längst entschieden, und man