Full text: L-Z (2. Band)

462 
Stabilitäts-Problem. 
Anwendung desselben in allen Einzeln- 
beiten ein höchst verwickelter Gegenstand 
des CalkulS. Wird aber darum jemand 
unter uns sagen wie König AlfonS von 
Kastilien: Ich hatte dem höchsten Welt- 
baumeister bei der Schöpfung eine ein 
fachere Anordnung des Weltsystems vor 
geschlagen , wenn er mich zu Rathe ge 
zogen hatte? Gewiß nichts denn nun ist 
ja die Verwickelung nicht auf Seiten 
Gottes bei der Anordnung, son 
dern auf Seiten der Menschen bei der 
Berechnung, wegen deS beschränkten 
menschlichen Verstandes. Ich habe in 
deß Grund zu hoffen, daß die ganze 
Theorie der Störungen der Hauptplane 
ten bald ausnehmend werde vereinfacht 
werden durch die Untersuchungen des be 
rühmten Jaco bi, vornämlich durch An 
wendung der sogenannten elliptischen 
Functionen, wonach selbst derjenige Theil 
der Theorie, an dessen weiterer Verein 
fachung ein Hansen verzweifelte (die 
von demselben so genannte natürliche 
Convergen; der Störungs-Function), 
vereinfacht wird. Und auch wenn diese 
Hoffnung vergeblich wäre, so können wir 
uns doch trösten, indem wir uns das 
unendliche göttliche Wesen lebhaft verge 
genwärtigen , gegen welches die mensch 
liche Natur in ein Nichts verschwindet, 
so daß wir von dem durch Iesa ias 
(Cap. 55, Vers 8. 9.) ausgesprochenen 
Worte des Herrn, das eigentlich sich aus 
das ewige Seelenheil der Menschen be 
zieht , eine Anwendung auch auf natür 
liche Gegenstände machen können: „Meine 
Gedanken sind nicht eure Gedanken, und 
eure Wege sind nicht meine Wege; son 
dern so viel der Himmel höher ist denn 
die Erde, so sind auch meine Wege hö 
her denn eure Wege, und meine Gedan 
ken denn eure Gedanken." 
Was nun die Lösung des „Stabili 
täts-Problems" betrifft, so haben die aus 
gezeichnetsten Geister des vorigen und 
des gegenwärtigen Jahrhunderts darin 
schon viel gearbeitet, und noch mehr hat 
man darüber gesprochen. Aber da 
der menschliche Geist nur zu sehr geneigt 
ist, über die von der Erfahrung gesteckten 
Grenzen hinaus sich auf Flügeln der 
Phantasie zu sogenannten ewigen Ge 
setzen zu erheben, so müssen wir erin 
nern, daß es insbesondere des Astro 
nomen unwürdig ist, von der Allge 
meinheit irgend eines Gesetzes des Welt 
systems a priori zu sprechen, da ihm zur 
Prüfung die Mittel der feinsten Beob 
achtung und der umfassendsten mathema 
tischen Analysis zu Gebote stehen. Man 
denke sich zwei Menschen, den einen mit 
frommem, aber blindem Glauben ausge 
rüstet , welcher im Vertrauen auf die 
unendliche göttliche Weisheit eine ewige 
Harmonie oder Stabilität des Weltsy 
stems von vorn herein annimmt als et 
was Gottes Würdiges; den andern, ei 
nen geborenen Zweifler, welcher sich nur 
an die Resultate der strengsten wisscn- 
schafrlichcn Prüfung hält; man denke sich, 
daß beide, unabhängig voneinander, den 
einmal betretenen Weg verfolgen, daß 
aber zuletzt die Wege beider zu demsel 
ben Ziele führen; wird nicht alsdann die 
Allmacht und Weisheit Gottes um so 
herrlicher strahlen? Wird nicht dadurch 
der Wissenschaft erst ihr rechter Triumph 
bereitet? Wird nicht auf diese Weise der 
menschliche Geist das vollkommenste Zeug 
niß von den ihm verliehenen Anlagen 
ablegen? Wenn wir die Sache aus die- 
s e m Gcsichtspuncte betrachten, so müssen 
wir gestehen, daß noch viel zu erforschen 
übrig ist, selbst in Beziehung auf das 
unsern Blicken am nächsten Liegende, die 
Harmonie des Sonnen- und Mondlaufs. 
Es fehlt in dieser Beziehung nicht an 
Deklamationen, welche mehr aus dem 
Orange der Sehnsucht, als aus der be 
reits gründlich abgeschlossenen Untersu 
chung hervorgegangen zu seyn scheinen, 
selbst bei den ersten Geistern, so daß wir 
auch einen Laplace nicht ganz aus 
schließen dürfen, wenn anders die von 
ihm gebrauchten Ausdrücke, absolute Ewig 
keit u. dgl., nicht etwa cum grano sa 
tis zu verstehen sind. 
„Nach dem Mond rechnet man die 
Feste," sagt der weise Sirach (Cap. 43, 
V. 7. 8.): „er ist ein Licht, das ab 
nimmt und wieder zunimmt; er macht 
den Monat, er wächst und verändert sich 
wundcrbarlich." Diese kurzen Worte ent 
halten einen tiefen Sinn, nämlich nichts 
Geringeres als eine Ahnung jener ewi 
gen Harmonie, welche vollständig zu be 
gründen und zu begrenzen erst den neue 
sten Zeiten vorbehalten war. Denn so 
sehr es auch schon die edelsten Krakle des
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.