Full text: L-Z (2. Band)

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Stabilitäts-Problem. 
menschlichen Geistes in Anspruch nahm, 
aus Beobachtungen die dem gegen 
wärtigen Zeitalter angchörige mitt 
lere Dauer des tropischen Jahres und 
des synodischen Monats zu bestimmen, 
bis endlich Lalande, von Zach und 
Bessel übereinstimmend ein tropisches 
Jahr von 365 Tagen 5 Stunden 48' 
48" fanden, — so dürfen wir doch da 
bei (und wenn es auch nur auf dieEnt- 
werfung eines constanten Schaltjahrsy- 
sieins ankommt) nicht stehen bleiben, son 
dern müssen bedenken, daß nur das sidc- 
rische Jahr nach den scharfsinnigsten 
analytischen Untersuchungen eines La- 
pla ce, Poisson u. s. w. auf Millio 
nen von Jahren (um nicht zu sagen, in 
Ewigkeit) unveränderlich ist, während das 
tropische wegen der veränderlichen Prä- 
ccssion im Laufe der Jahrhunderte kleine 
Schwankungen erleidet, welche sich in 
sonderbar Verschlungenen Perioden von 
40000 und mehr Jahren ausgleichen und 
dadrirch ein gewisses mittleres tropi 
sches Jahr, etwas verschieden von dem 
des gegenwärtigen Zeitalters, herbeifüh 
ren, zu welchem alle durch die Anziehung 
der Sonne, des Mondes und der übri 
gen Planeten hervorgebrachten Störun 
gen das Erdspharoid durch einen Zeit 
raum vieler Jahrtausende immer wieder 
zurückführen. So gilt also die oben an 
geführte Bestimmung, 365 T. 5 St. 48' 
48", streng genommen nur für das vo 
rige und gegenwärtige Jahrhundert. Die 
darauf begründete Schalt-Regel, aus dem 
gregorianischen System alle 3600 Jahre 
einen Tag auszustoßen, wie D elambre 
am Ende des vorigen Jahrhunderts vor 
schlug, hat daher in sich selbst keinen Halt; 
denn wollten wir sie im Jahre 3600 un 
serer Zeitrechnung zum erstenmale an 
wenden, so würde unterdessen das gegen 
wärtige tropische Jahr schon einem merk 
lich kürzeren Platz gemacht haben, näm 
lich nach Besscl's vorläufiger Bestim 
mung einem von 365 T. 5 St. 48' 37", 
wonach aus dem gregorianischen System 
nicht mehr alle 3600 Jahre, sondern alle 
2400 Jahre ein Tag ausgestoßen werden 
müßte. Um also einen Canon der Schalt 
jahre und Osterfeste auf so lange Zeit 
als möglich im Voraus zu entwerfen, 
können wir nicht umhin, die höchst ver- 
Wickelte Theorie der Präcession und 
ihrer Säcular > Aenderungen möglichst 
gründlich zu durchforschen, und daraus 
die — bisher, meines Wissens, noch in 
knnem astronomischen Werke, auch in 
Schubert's theoretischer Astronomie 
nicht, mit definitiver Gewißheit entwickelte 
— Bcstimnmng jenes problematischen 
mittleren tropischen Sonnenjahrs ab 
zuleiten- Das setzt aber wegen des en 
gen Zusammenhanges auch ein möglichst 
tiefes Eingehen in die Lösung des ge 
lammten Stabilitäts-Problems für alle 
7 Hauptplaneten voraus. 
Man hat zur Berechnung der Säcu- 
lar-Aenderungen aller Elemente der Pla 
netenbahnen zwei Wege eingeschlagen; 
der eine ist einfacher als der andere, 
reicht aber nur aus eine beschränktere An 
zahl von Jahrhunderten aus, indem 1200 
Jahre vor und nach dem Ausgangspuncte 
ocr Rechnung (vor und nach der soge 
nannten Fu nd a men tal- Ep o ch e, wo 
zu jetzt noch gewöhnlich der Ansang des 
Jahrs 1800 gewählt wird) die analyti 
schen Formeln ihre Genauigkeit (ja sogar 
-ihre Convergenz) zu verlieren anfangen, 
und alle darüber hinaus fortzusetzenden 
Schlüffe sehr bald unzuverläßig machen. 
Daß diese Methode dem Bedürfnisse der 
Kirche nicht genügt, welche ihre Bese- 
ligungspläne für alle menschlichen Dinge 
vielmehr in die Ewigkeit ausdehnt, ist 
für sich klar. In dieser Hinsicht mußte 
eine andere, vor etwa 60 Jahren von 
Lag ränge und Laplaee eingeleitete 
Methode willkommener seyn, welche eS 
sich zum Ziel setzte, Formeln für die Sä 
cular-Gleichungen auf eine unbestimmte 
Anzahl von Jahrhunderten zu entwickeln, 
wodurch man der Beantwortung der Le 
benslage über die ewige Stabilität oder 
Nicht - Stabilität möglichst nahe käme. 
In der That ein großes, aber auch ein 
belohnendes Feld der menschlichen Unter 
suchung ! Bei der großen Verwickelung 
der Aufgabe, wohin auch die nur aus 
einem sehr langsamen Wege zu erhaltende 
genauere Bestimmung der Massen der 
einzelnen Planeten gehört (zumal derer, 
die keine Trabanten haben), konnte cS 
nicht fehlen, daß auch die größten Gei 
ster in den zu entwickelnden Formeln ge« 
wisse Glieder übersahen, welche anfangs 
unbedeutend schienen, aber doch durch die 
Integration (d. h. durch die Sum-
	        
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