Vorrücken der Nachtgleichen.
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Ptolemäus erzählt uns in seinem
schon oben erwähnten „Almagest", daß
der ebenfalls bereits vorn genannte Grie
chische Astronom Eudorus, Zeitgcnoß
Platos, einen der größeren Fix
sterne sehr nahe beim nördlichen Weltpole,
also als Polarstern, beobachtet habe.
Da Plato etwann 350 vor Christus, und
demnach über 2000 Jahre vor uns ge
lebt hat, so kann dieß nicht unser ge
genwärtig er Polarstern « des kleinen
Bären gewesen seyn, welcher, vergl. P o-
larstern, S. 334., damals noch weit
vom Pole entfernt war. Betrachtet man
den oben erwähnten Kreis, welcher, ver
möge der Präcession, vom Weltpole um
den Pol der Ekliptik beschrieben wird,
etwas genauer, so findet man in dieser
Himmelsgegend nur einen einzigen Stern,
der die bezeichnete Größe hat, und der
in fener Vorzeit etwann nahe genug bei
unserm (Nord-Welt-) Pole gestanden ha
ben könnte: es ist dieß H im Drachen,
dessen gegenwärtige Länge ziemlich
133° beträgt. Wäre derselbe aber, Eu
dorus obigen Angaben gemäß, zu sei
ner Zeit, d. h. also von heut ab vor
2000 Jahren, in der That Polarstern
gewesen, so müßte seine damalige
Lange (wenigstens nahe) 90° * betra
gen haben; und die Differenz jener ge
genwärtigen und dieser damaligen
Länge von (133—90 —) 43° käme auf
das indeß Statt gefundene „Vorrücken
der Nachtgleichen". Dieses Vorrücken
bewirkt aber (vergl. vorn, 1° in 71
Jahren) eine Längenznnahme von 43°
nicht schon in den 2000-, sondern erst
* Denkt »ifl» sich vom Welt pole eine»
Meridian nach den DnrchschnittSpunctcn
des AequatorS und der Ekliptik
(also den Kolur — vergl. d. Art. —
der Nachtgleiche n), so steht ein zwei
ter, durch die Po le jener beiden Kreise
gehender und also zugleich als Brei
tenkreis zu betrachtender Meridian
(der „K 0 l n r der Sonnenwende n")
vom ersteren offenbar 90° ab, und ein
die Stelle des Weltpols (genau oder doch
nahe) einnehmender Stern har also. gleich
dem Weltpvle selbst, die obige Lange
von 90°, d. h. der zwischen den beide»
Koluren enthaltene, den Stern treffende
Bogen der Ekliptik ist von dieser Große.
in (71.-! 3 — ) 3053 Jahren, so daß
die chronologische Unrichtigkeit von
Eudorus Angabe durch diesen astrono
mischen Bezug auf die Präcession,
wie ich darthun wollte, nachgewiesen ist;
— Eudorus wird hierbei nicht sowohl
seine, sondern vielmehr eine über (3053
—2000) 1000 Jahre ältere Zeit fr ü-
hercr Chaldäischer und Egypti-
scher Astronomen gemeint haben.
Laplace ferner (ich finde die Anfüh
rung in meinen Notizen, ohne die Stelle
in Laplace's Werken selbst gleich näher
angeben zu können) meint, daß die Be
zeichnung und Benennung der Sternbil
der des Thierkreises zu einer Zeit be
stimmt worden sey, wo das Bild des
„Steinbocks", welches Thier man doch
immer nur auf den höchsten Höhen
erblickt, für unsere Halbkugel auch den
höchsten Punct der Ekliptik über dem
Aequator eingenommen gehabt habe. Von
'diesem Puncte ist dasselbe aber (s. vorn)
'jetzt (180 + 30 —) 210° östlich
'entfernt, die auf Rechnung der „P rä-
cession" kämen, und einem Zeitraume
von (71.210 — ) 15000 Jahren ent
sprechen, welche solchergestalt das Alter
1 jener Bezeichnung abgäben. Auch dieses
Beispiel lehrt also den schon in der An
merkung noch mehr hervorgehobenen Dei-
'stand kennen, welchen die Chronolo
gie von der Astronomie, und hier
namentlich von der genauen Kenntniß
des Maßes des „Vorrückens der
Nacht gleichen" erwarten darf; und
ich würde, da es sich in diesem Falle um
eine ganz neue, von den bisherigen An
sichten so sehr abweichende Ansicht über
das Alter der Welt handelt, länger
dabei verweilen, wenn Laplace's Ver
muthung durch andere Umstände unter
stützt würde, und also mehr als eine geist
reiche Hypothese wäre.
Endlich werden meine Leser, unter dem
hier aufgestellten Gesichtspuncte, auch von
dem „Thier kr eise (vergl. d. A.)^ zu
Denderah" reden gehört haben. Die
Ruinen der alten Stadt Tentyris (Den-
dcrah) in Ober-Egypten nämlich zeichnen
sich durch einen großen Tempel aus, dem
die Zeit wenig geschadet hat; und am
Plafond des Porticus dieses Tempels
sieht man die 12 Figuren der Sternbil
der des Thierkreises in derjenigen Ord-
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