Full text: L-Z (2. Band)

IV 
V o r r e d c. 
von diesem Gesichtspunkt aus kann die Klage um den uner 
setzlichen Verlust milder tönen, die Thräne sparsamer fließen. 
Joseph Emil Nürnberger wurde am 25. Oktober des Jah 
res 1779 zu Magdeburg geboren. Sein Vater war Kriegs 
und Domainenrath daselbst, und seine Mutter war die Toch 
ter des berühmten Professors Ritter an der Universität 
Wittenberg, der die Geschichte der byzantinischen Kaiser 
nach Guthrie und Gray schrieb. Die als Schriftstellerin im 
leichteren belletristischen Fache ihrer Zeit wohl bekannte Emilie 
Friederike Sophie L e h m a n , die vertraute und geliebte 
Freundin seiner Jugend, dieselbe, an welche die Episteln sei 
nes so berühmt gewordenen „Stilllebens" gerichtet sind, war 
ebenfalls eine Enkelin dieses Professors Ritter. 
Daß die Familie von väterlicher Seite aus Frankreich und 
zwar aus der Provence stamme, daß sie, in Folge der Auf 
hebung des Edikts von Nantes landesflüchtig, in dem gast 
lichen Nürnberg den französischen Familiennamen mit dem 
der deutschen Stadt vertauscht, ist eine Thatsache: und mag 
diese Abstammung, die der Verewigte selbst in seiner Novelle 
„das Bild des Mönch es" weitläufiger behandelt, mit sei 
ner großen Vorliebe für französische Sprache, in der er es 
zu einer, für Deutsche ganz ungewöhnlichen Fertigkeit gebracht, 
und französischen Literatur im Zusammenhange stehen. 
Die Erziehung, deren er im väterlichen Hause theilhaftig 
wurde, war eine ausgezeichnete: unter Leitung des Rektors 
Funk, damaligen Vorstehers der Magdeburger Domschule, 
erwarb er sich tiefe und gelehrte Kenntnisse in den mathe 
matischen Wissenschaften, und trank so tief aus dem Brunnen 
des klassischen Alterthums, daß der Trank ein zaubermächtiger 
wurde, und ihn sein ganzes Leben hindurch in enger Berüh 
rung mit den unsterblichen Alten hielt. 
Leider kam ein gottvergeßner Schurke in das elterliche 
Haus: und wie dieser durch allerlei Schlangenkünste sich der 
gestalt in das Vertrauen und die Gunst der Stiefmutter des 
jungen N. zu setzen wußte, daß er ihr später das der Fami 
lie gehörige Erbgut abschlich: so übte dieser Elende * auch 
* Dieser Bube, dessen Nachkommen noch heute in Berlin leben, war der K. 
Preußische Geheime Oberfinanzrath M Wer über ihn und über 
das von ihm an unserer Familie verübte Schandstück nähere Auskunft wünscht, 
der lese die Novelle des Verstorbenen „der Erbschleicher" iu: Ernste Novel 
len und Skizzen: Sehnsuchtsklänge n. s. w. Kempten bei Dannheimer. M. 8.
	        
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