Full text: Wilhelm Olbers (2. Band, 1. Abtheilung)

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Gauss an Olbers. Göttingen, 1810 Anfang April. 
wiss nicht zu strenge mit mir zu einer Zeit, wo ich des Erfreulichen 
so wenig zu geben gehabt habe. Sie glauben mir leicht, dass dieser 
Winter der allerunglücklichste meines Lebens gewesen ist, und dass 
ich dadurch sogar für manches mir sonst begegnete Gute fast ganz 
unempfindlich geworden bin. Ich könnte mich selbst heute noch nicht 
entschlossen, mit meinem trüben Gesicht vor Ihnen zu erscheinen, wenn 
nicht seit gestern die Wolken sich zertheilt hätten, und mir nun wieder 
ein ganz heiterer Himmel entgegenlachte. Hören Sie, theurer Freund, 
und freuen sich mit mir. 
Das Härteste, was mir diesen Winter begegnet ist, war der Ver 
lust meines Louis, der, ohne vorher im mindesten krank gewesen zu 
sein, am 1. März nach 8 ständigen krampfhaften Zufällen dem auf ein 
mal erfolgten Einschiessen vieler Zähne erlag. Der Arme sah immer 
so verständig, ruhig lächelnd aus seinen grossen, schönen, blauen Augen, 
dass ich mich so gern süssen Hoffnungen überliess und schon meinte, 
auf ihn einst des Vaters Liebe für die ernsteren Wissenschaften ver 
erben zu können. Thörichte Pläne, früh in Nichts verschwunden! 
Aber auch meine beiden andern Kinder haben mir diesen Winter 
vielen, vielen Kummer gemacht, nicht sowohl für die Gegenwart als 
für die Zukunft. Ich sehe mit einiger Betrübniss, dass die Umgebungen, 
unter denen sie jetzt leben, nicht ganz so sind, wie sie sein sollten. 
Meine noch bei mir befindliche Schwiegermutter ist eine sehr achtungs- 
wertlie Frau und nimmt sich treu der Kinder an, aber doch kann sie 
natürlich ihnen lange nicht das sein, was ihnen notli thut, weder meiner 
Tochter und noch weniger meinem Sohne, bei welchem sie die sehr 
natürliche grossmütterliche Vorliebe nicht immer durch weise Strenge 
leiten lässt. Zudem ist sie in den Sechzigern, oft kränklich und kann, 
wie sich leicht begreifen lässt, hier nicht einheimisch werden. Werden 
Sie mich missverstehen, theurer Freund, wenn ich Ihnen gestehe, dass diese 
Betrachtungen mich seit einiger Zeit die Idee einer zweiten Heirath in 
dem Lichte einer meinen Kindern schuldigen Pflicht haben sehen lassen? 
Und doch würde ich mich schwerlich sobald in diese Pflicht haben finden 
können, wenn nicht durch eine sonderbare, fast romanhafte Concatenation 
von Umständen, in denen ich fast Fingerzeige einer höheren Hand wahr 
zunehmen geneigt sein möchte, ich die Möglichkeit gefunden hätte, die 
Erfüllung jener Pflicht mit ganzem vollen Herzen einzugehen. Seit 
gestern bin ich wieder so gut wie versprochen mit einem Wesen gerade 
ebenso fromm und engelgut, wie meine verewigte Frau war, zugleich 
einer lieben Freundin der letzteren und eben durch diese letztere mir 
schon seit längerer Zeit werth. Aber erst ganz seit Kürze konnte eine 
solche Idee stattfinden, und wieder ganz eigenthümliche Umstände haben 
uns so schnell nahe gebracht. Aus mehreren sehr wichtigen Gründen
	        
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