Gauss an Olbers. Göttingen, 1813 Juli 2.
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Die Resultate meiner ersten mit dem REicHENBACH’sclien Kreise
angestellten Beobb. des Polarsterns werden Sie in No. 75 unserer Gel.
Anzeigen*) gelesen haben, sowie in No. 55 einen Auszug aus meiner Vor
lesung über die Attraktion der elliptischen Sphäroide, von welcher ich
Ihnen, sobald sich eine Gelegenheit findet, einen besonderen Abdruck
schicken werde. In der letzten Zeit habe ich mit dem Kreise das
Solstitium beobachtet. Es ist doch sonderbar, dass auch aus diesen
Beobb., die aus a Ursae min. bestimmte Polhöhe zu Grunde gelegt,
die Schiefe der Ekliptik ungefähr ebenso folgt, wie sie Hr. v. Zach aus
den Sommersolstitien gefunden hat, etwa 6" grösser, als man sie im
Mittel anzunehmen pflegt. Ich werde indess auf meine Beobb. nicht
eher Gewicht legen, als bis sie ihre Selbständigkeit erhalten haben,
also bis ich wenigstens auch die obere Kulmination des Polarsterns und
das Wintersolstitium observirt habe. Es ist mit dieser Erscheinung
doch sonderbar. Jede Nachlässigkeit des Beobachters wirkt in diesem
Sinn, wenn die Ebene des Instrumentes nicht gehörig vertikal, oder die
Gesichtslinie nicht gehörig berichtigt ist, oder die Beob. zu weit vom
Vertikalfaden entfernt gemacht wird, oder wenn man bei Reduktion
der Zenithdistanzen auf die in der Kulmination die Glieder der 4. Ord
nung vernachlässigt. Alles dies findet aber bei den hiesigen Beobb.
keine Anwendung. Bessel findet zwar aus Beadley’s Beobb. Sommer-
lind Wintersolstitien übereinstimmend, allein Mauerquadranten können
bei einer so delikaten Untersuchung wohl nichts entscheiden. Wäre das
Faktum gewiss und von Refraktion unabhängig, so würde man schliessen
müssen, dass der Schwerpunkt der Sonne etwa um des Sonnen
durchmessers unterhalb des Sonnenmittelpunkts läge, eine sehr leicht
mögliche Sache, wenn die Sonne nur einigermaassen aus heterogenen
Theilen besteht. Was würde nicht ein REicHENBACH’sclier Kreis in der
südlichen Hemisphäre für Aufschlüsse geben können!
Die vor zwei Jahren berechnete Ephemeride der Pallas hält sich
gut, sie giebt meiner neulich gemachten Beob. zufolge die Al um 40",
die Dekl. um 24" zu gross. Hier ist diese Beob.:
1813 Juni 28. ll h 37 111 2 S M. Z. 327° 2' 13,3" + 14° 5' 43,4"
Seitdem hat das Wetter noch nicht wieder verstattet, diesen Planeten
zu sehen. Erlauben es die Umstände, so sehen Sie sich wohl auch da
nach einmal um. Sie hat bis jetzt kaum die 10. Grösse. Die Störungen
der Pallas durch Jupiter, soweit ich sie zu berechnen die Absicht hatte,
sind jetzt zum grössten Theil vollendet. Von den numerischen Rech
nungen für die bisherigen Oppositionen ist aber noch viel zurück.
) Gauss’ Werke Bd. VI, S. 365 ff.
Scli.