Gauss an Olbers. Gottingen, 1815 November 27.
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No - 313 - Gauss an Olbers. [m
Göttingen, 1815 November 27.
Herzlichen Dank für Ihren lieben Brief und alle die interessanten
Mittheilungen. Besonders lieb waren mir die Nachrichten aus Lee’s
Abhandlung, welche gewiss der Beachtung der Astronomen nicht un-
werth ist. Einen Theil von dem Unterschiede, der sich bei Bestimmung
der Polhöhe aus dem Polarsterne und aus der Sonne zeigt, kann man
vielleicht einer kleinen Biegung des Fernrohrs zuschreiben, die durch
den beim Objektiv vorgesteckten Ring (zum Balanciren des prismatischen
Okulars) hervorgebracht wird und vermöge welcher alle Zenithdistanzen
zu klein ausfallen. Dies ist wenigstens Reichenbach’s Meinung. Ob
jener Ring eine merkliche Biegung hervorbringt, darüber werde ich in
Zukunft Versuche anstellen, indem ich ihn weglasse und statt seiner
ein Gegengewicht an den innern Kreis selbst anschraube. Allein, wenn
sich diese Biegung auch als nicht ganz unmerklich bewähren sollte, so
gestehe ich doch, dass ich nicht recht einsehe, warum nicht auch das
Okularende des Fernrohrs, welches noch weiter vorsteht und das nicht
ganz leichte prismatische Okular trägt, eine ungefähr ebenso starke
Biegung erleiden sollte. Ich werde in Zukunft darüber mancherlei Ver
suche anstellen, die freilich sehr zeitraubend sind.
Ich glaube, dass Sie mit Ihrem Kometensucher besser zufrieden
sein werden, wenn Sie sich noch einen Okulareinsatz mit einer etwas
stärkeren Vergrössernng dazu machen lassen. Ich habe einen solchen
für Harding kommen lassen zu 15 maliger Vergrösserung (die erste
war eine etwa 10malige), welche grosse Dienste thun soll.
Es freut mich, Sie mit meinem Urtheil über Delambre’s Astronomie
einstimmig zu sehen. Sein Rechnnngsunfug zur Bestimmung von Kometen
bahnen ist das Kopfloseste, was ich kenne, und es wäre für jeden Andern
als für Hrn. Delambre (für den es, wie er sagt, „un amusement“ ist)
eine harte Strafe, danach Kometenbahnen zu berechnen.
Lindenau wird wohl nicht nach Ofen gehen, und ich hoffe noch,
dass der junge Encke hinkommen wird. Es liiess bisher, dass Solbner’s
Abgang nach Mannheim ganz gewiss sei, nach späteren Nachrichten
wird er aber vielleicht doch in München bleiben. Inwiefern dann für
den wackern Gerling Hoffnung ist, kann ich freilich nicht selbst be-
urtheilen, ich wünschte ihm aber desto mehr diese oder eine andere
Anstellung, da der Abgang des Prinzen von Cassel, welchem, wie ich
Ihnen glaube geschrieben zu haben, Gerling seit ein paar Jahren Unter
richt in der Mathematik gab, infolge der Misshelligkeiten zwischen
dem Kurprinzen und seiner Gemahlin seine Lage in Cassel sehr ver-