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Olbers an Gauss. Bremen, 1821 Oktober 11.
meridians überein; aber es blieb zweifelhaft und unentschieden, ob die
gefundene Anomalie, da man die geodätischen Längen verhältnissmässig
als ganz genau annehmen kann, 1) Fehlern der astronomischen Beobb.
oder 2) einer wirklich unregelmässigen Krümmung des Erdmeridians
oder 3) einer Ablenkung des Loths durch Lokal-Anziehung zuzuschreiben
sei. Da bei Ihren Beobb. unter Anwendung mehrerer Sterne und
mehrerer ganz verschiedener sehr vollkommener Messinstrumente 1 ganz
wegfällt, und man annehmen kann, dass für jeden Beobachtungsort der
Abstand des scheinbaren Zeniths vom Pol aufs Genaueste bestimmt sein
wird, so bleiben nur 2 und 3 übrig. Ich sehe nicht, wie man unter
diesen beiden Fragen entscheiden kann, wenn man nicht bei jeder Grad
messung wenigstens 6 Punkte astronomisch bestimmt, die paarweise
nahe bei einander liegen. Wenn man eine viertel oder halbe Meile von
einem Orte, an dem das Loth durch lokale Anziehung perturbirt sein
kann, nord- oder südwärts wieder die Polhöhe nimmt, so wird hier die
Ablenkung des Loths entweder ganz verschwinden oder in entgegen
gesetzter Richtung stattfinden, da die störende Masse immer nur auf
kleine Distanzen wirksam sein wird. Mich wundert deswegen, dass die
Engländer bei der sonderbaren Anomalie ihrer Gradmessung nicht
wenigstens eine oder zwei englische Meilen nord- oder südwärts von
Arburyhill eine neue Bestimmung der Polhöhe vornehmen, um diese
Zweifel endlich aufzuklären. Das lange Stillschweigen über die eigent
liche Polhöhe von Dünkirchen und über den Erfolg der Verbindung
der englischen und französischen Gradmessung lässt vermuthen, dass
sich dabei noch ganz paradoxe Umstände gefunden haben, und dies
wird um so mehr bestätigt, da man nun vernimmt, dass sich die
Kapitains Colby und Kater wieder mit Arago vergesellschaftet haben,
um von Neuem Dünkirchen mit den Punkten der englischen Küste in
Verbindung zu bringen.
Ich sehe ganz wohl die grossen Schwierigkeiten ein, die es haben
muss, die ohnehin schon so lästigen und weitläufigen Arbeiten einer
Gradmessung auf diese Art fast zu verdoppeln. Aber vielleicht irre
ich mich in Ansehung der NothWendigkeit dieses Mittels, und vielleicht
haben Sie schon ein anderes Verfahren ausgedacht, jene Fragen zu
lösen, ohne die Arbeit so sehr zu vervielfältigen. Sollten aber auch
die obigen Ideen richtig sein, so würde sich doch wohl der Zweck er
reichen lassen, wenn Sie nur 3 Punkte, etwa Göttingen, das südliche
oder nördliche Meridianzeichen von Göttingen und einen Punkt nicht
weit nord- oder südwärts von Lauenburg astronomisch bestimmten, da
Schumacher’s Beob. in Lauenburg selbst schon die Kontrolle dieser
Bestimmung abgäbe, und dann hätte Schumacher nur noch eine zweite
Polhöhe in der Nähe von Skagen zu beobachten, insofern nicht an