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Gauss an Olbers. Göttingen, 1827 Mai 8.
Zu 1 ) einer erfolgreichen Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung
auf Beobb. ist allemal möglichst umfassende SWtkenntniss von höchster
Wichtigkeit. Wo diese fehlt, ist das Ausschliessen wegen grösserer
Differenz immer misslich, wenn nicht die Anzahl der vorhandenen
Beobb. sehr gross ist. Alle einzelnen Bestandtheile des Beobachtungs
fehlers, deren Vermeidung ausser unserer Gewalt liegt, haben gewiss
Grenzen, wenn wir auch nicht im Stande sind, sie scharf anzugeben.
Es giebt sehr viele Fälle, wo wir mit Gewissheit sagen können, dass
ein vorgekommener grosser Fehler ausserhalb der Grenzen der Mög
lichkeit solcher Fehler liegt und ein ausserordentliches Versehen be
gangen sein muss. Die muss man natürlich ausschliessen. So lange
man sich aber die Möglichkeit denken kann, dass der Fehler durch
unglückliche Konspiration der Bestandtheile hervorgegangen ist, soll
man nicht ausschliessen. Zuweilen kann es freilich auch Fälle geben,
wo man zweifelhaft ist, ob man sie zur ersten oder zweiten Klasse
zählen soll; da halte man es, wie man will, mache sich aber zum Ge
setz, nichts zu verschweigen, damit andere nach Gefallen auch anders
rechnen können. Die Zahlenwerthe der Resultate werden, man halte
es, wie man wolle, gleiche Brauchbarkeit haben, aber ihre Zuverlässig
keit riskirt man für zu gross auszugeben, wenn man mit dem Aus
schliessen zu schnell bei der Hand ist. Geschäfte dieser Art scheinen
mir schon mehr Analogie mit dem Handeln im Leben zu haben, wo
man selten oder nie mathematische Strenge und Gewissheit hat, und wo
man sich begnügen muss, nach bester überlegter Einsicht zu verfahren.
Hr. Nürnberger hat mich auch mit seiner Abhandlung] beehrt.
Obgleich ich natürlich darüber ebenso urtheile wie Sie, so habe ich
mich doch gehütet, ihm dieses Urtheil anzuzeigen, da ich aus Erfah
rung weiss, dass es immer eine vergebliche Mühe ist, schlechten Schrift
stellern über ihre Fehler die Augen öffnen zu wollen. Ich habe mir
also auf eine hofmännische Art geholfen, indem ich ihm einige allge
meine, im Grunde nichtssagende Komplimente über sein Bestreben, ab
strakte Gegenstände zu popularisiren, gemacht habe, ohne im Geringsten
auf seine gegenwärtige Abhandlung] zu entriren. Es kam mir zu Statten,
dass ich ihm die vollständige Auflösung einer vor einigen Monaten im
Reichsanzeiger aufgegebenen Aufgabe beifügen konnte, wovon er selbst
(Nürnberger) in einem späteren Blatt eine unrichtige gegeben und
von dem anonymen Einsender der Aufgabe weitere Aufklärung ge
wünscht hatte. Die Aufgabe war: aus einem Fass von 2000 Maass
Branntwein mit 80 °/ 0 Spiritusgehalt werden täglich 15 Maass ausge
schöpft und dann 12 Maass von 40°/ o Gehalt nachgegossen; nach wie
viel Tagen wird der Gehalt auf 50°/ o reducirt sein?
3 ) Siehe die Anmerkung- auf der vorhergehenden Seite. Krm.