Gauss an Olbers. Göttingen, 1828 Mai 26.
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einen solchen noch nicht zur befriedigenden mathematischen Klarheit
habe bringen können, und dass mir keine unserer Erfahrungen das Da
sein eines solchen Kerns zu widerlegen scheint. Ich kann mir recht
gut denken, dass alle jene Erfahrungen wenigstens mit einem sehr
kleinen Kern noch recht gut bestehen können. Verstehen Sie mich
übrigens nicht unrecht, ich will, obgleich die obige Möglichkeit mir
noch nicht erwiesen ist, sie auch noch keineswegs ableugnen. Bis jetzt
bloss „non liquetAusser den analytischen Schwierigkeiten scheint es
auch noch zu sehr an einer physikalischen Basis in Beziehung auf die
A orstellung, die wir uns von dem Wärmezustand der Kometenmasse zu
machen haben, zu fehlen. So viel ist gewiss, dass eine blosse Dunst
masse von gleichförmiger Temperatur sich gar nicht Zusammenhalten
kann; streng genommen kann es aber eine solche auch dann nicht,
wenn sie einen Kern umgiebt. Nun haben wir aber unsere Atmosphäre
noch immer, und es muss also bei so niedrigen Temperaturen, wovon
wir uns gar keine Vorstellung machen können, an den Grenzen der
Atmosphäre die Expansibilität ganz aufhören. Aber gerade die mathe
matische Konstruktion der Gesetze, nach denen sich die expansiblen
Flüssigkeiten da richten, wo ihnen der Wärmestoff fast ganz ausgeht,
würde erforderlich sein, um die Gestalt der Kometenmassen einem Kalkül
unterwerfen zu können.
In nicht langer Zeit wird vermuthlich die Reihe an mich kommen,
Gegenstände zur Auswahl einer mathematischen Preisfrage bei unserer
Societät vorzuschlagen. So lange ich hier bin, ist noch niemals ein
mathematischer Preis zuerkannt. Freilich ist sein numerischer Werth
zu gering, um zu einer sehr schwierigen Arbeit jemand einzuladen, der nicht
ohnehin den Gegenstand schon zu bearbeiten denkt. Ich habe zwar
mehrere Sujets bei Händen, für die ich aber aus der erwähnten Ur
sache ein gleiches Schicksal besorge. Sollte Ihnen, liebster Olbees,
vielleicht ein oder der andere Gegenstand beifallen, den Sie selbst
unter meine Vorschläge aufgenommen wünschten, so werde ich einige
Winke darüber gern und dankbar befolgen.
Eine Scheibengestalt bei Doppelsternen habe ich an den Meridian
instrumenten niemals gesehen, ausgenommen, wenn ich das Objektiv,
wie ich es bei Nacht bei hellen Sternen [thue], durch eine leichte
Papierkapsel von 2 Zoll Oeffnung blende; dann erscheinen alle hellen
Sterne 1., 2. oder 3. Grösse wie scharf begrenzte Scheiben von etwa
2" Durchmesser. Ich kann mir dieses Phänomen nicht erklären, da
dieselben Sterne bei Tage und voller Oeffnung bloss wie Punkte er
scheinen. Ich habe mir längst vorgenommen, darüber einmal eine be
sondere Reihe von Versuchen zu machen, bin aber bisher noch nicht
dazu gekommen.