Full text: Wilhelm Olbers (2. Band, 2. Abtheilung)

Gauss an Olbers. Göttingen, 1829 Januar 31. 
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erforderte die Leitung der Messungen eine fast tägliche weitläufige 
Korrespondenz; seit meiner Rückkehr von Berlin kostete die Ver 
arbeitung jener Messungen einen Zeitaufwand von 2—3 Monaten, da ich 
dabei jeder Hülfe entbehrte. Ausserdem bin ich zum Mitgliede einer 
niedergesetzten Kommission zur Regulirung unseres Maasswesens er 
nannt, und obgleich in dieser Angelegenheit bisher noch nichts ge 
schehen ist, als dass ich mich etwas mit den weitläufigen Akten be 
kannt gemacht habe, so ist doch schon dazu viele Zeit erforderlich 
gewesen. Wenn ich nun noch hinzusetze, dass ich in diesem Winter 
zwei Kollegien zu halten habe, und dass ich im Herbst in den durch 
Bouterweck’s Tod erledigten Platz in der Fakultät und im Senat ein 
getreten bin, woraus auch mitunter Geschäfte hervorgehen, so werden 
Sie es leicht begreiflich finden, dass ich für eigentlich wissenschaftliche 
Arbeiten seit geraumer Zeit auch nicht die geringste Müsse gehabt habe. 
Erst seit ein paar Wochen habe ich an dergleichen einmal wieder 
etwas denken können. Ich bin dabei auf die Theorie der Kapillaraktion 1 ) 
zurückgekommen, zu deren Behandlung aus einem neuen Gesichtspunkte 
sich mir schon vor mehreren Jahren eigenthümliche Ideen dargeboten 
hatten. Die Theorie scheint mir dadurch an Einfachheit bedeutend zu 
gewinnen und die Mangelhaftigkeit der La PLACE’schen Theorie ge 
hoben zu werden. Letztere ist uns den Beweis des Hauptsatzes, dass 
der Berührungswinkel der Flüssigkeit an der Wand des Gefässes kon 
stant [ist], d. i. bloss von dem Verhältnisse der Anziehungskraft, die die 
Tlieile des Gefässes auf die Flüssigkeit ausüben, zu der Anziehungs 
kraft der ersteren gegen einander abhängt, schuldig geblieben. 
Von der erwähnten Eigenschaft habe ich schon seit Jahr und Tag 
einen Gebrauch in der praktischen Astronomie gemacht. Sie wissen, 
dass ich schon seit mehreren Jahren den Nullpunkt des Meridiankreises 
durch Einrichten auf das Nadir bestimme, wo das Bild des Fadennetzes 
von einer Quecksilberfläche reflektirt gesehen wird. Ist hier das Gefäss 
kleiner als das Objektiv, so geht offenbar ein Theil des Lichts schon 
deshalb verloren, allein ein noch grösserer Theil dadurch, dass vermöge 
der Kapillaraktion das Quecksilber selbst in einer bedeutenden Ent 
fernung vom Rande merklich von der Plangestalt ab weicht (Fig. 28, 1 
auf S. 518). Ich vermeide dies, indem ich mich eines Gefässes bediene, 
dessen innere Fläche ich habe oben konisch, nach oben zu sich verengend, 
ausdrehen lassen, ungefähr unter einem Winkel von 45°. 
In diesem Gefäss ist die Oberfläche des Quecksilbers ohne die 
geringste merkliche Konvexität. Man könnte von dieser Idee auch in *) 
*) Vergl. auch Brief No. 163 vom 27. Jan. 1829 im Briefwechsel Gauss- 
Bessel. Krim
	        
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