Olbers an Gauss. Bremen, 1881 Juni 13.
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Sie vielleicht noch später in diesem Jahre hier zu umarmen, wenn sich
erst durch den Einfluss des Sommers, wie ich hoffe und von Herzen
wünsche, die Verhältnisse in Ihrem Hause etwas freundlicher gestaltet
haben werden, und Sie vielleicht andere, mit der Vermessung nicht zu
sammenhängende Geschäfte nach Hannover führen sollten.
Ganz ungemein bin ich Ihnen, mein theurer gütiger Freund, ver
pflichtet, dass Sie mir das Stück der G. G. A., das die wichtige Lehre
von den bisher so wenig begriffenen, sogenannten imaginären Grössen
wenigstens in nuce entwickelt, geschickt haben. Der Besitz dieses
Stückes ist mir höchst schätzbar, denn ein blosses Durchlesen, wenn
auch ein- oder zweimal wiederholt, würde mir nicht genügt haben.
Aber wie kann ich Ihnen genug für die grosse Mühe danken, womit
Sie mir die Konstruktion der Multiplikation von
(2 + 5i)x(l + 2i) = — 8 + 9i
so deutlich gemacht haben. Ich habe nun eine ganz andere Vorstel
lung von den imaginären Grössen erhalten, und ahne nun den unge
heuren Umfang des neuen Gebiets, das sich hier der höheren Arith
metik aufschliesst, wenn ich mich auch noch in vielen Stücken dem
Fuchs in der Fabel ähnlich fühle, der zwar die vielen herrlichen
Sachen in der ihm Vorgesetzten Flasche sehen, aber sie sich nicht ganz
aneignen konnte. — Ich hoffe, Sie werden einst alle Ihre in dieses
Fach gehörenden grossen Entdeckungen in einem zweiten Bande Ihrer
unsterblichen Disq. Arith. sammeln.
Mit Ihnen bin ich der Meinung, dass aus dem Marsche der Bundes-
Truppen nach Luxemburg, aller drohenden Protokolle der Londoner
Konferenz unerachtet, wohl nichts werden wird. Die Konferenz [bei
nimmt sich höchst ledern bei dieser fatalen Angelegenheit; aber be
sonders erscheint dabei der Deutsche Bund in der armseligsten, traurig
sten Gestalt. Ich fürchte sehr, er wird bald allgemein zum Gespött
werden, wenn ihm die frechen Belgier so unverschämt trotzen und die
Bundes-Glieder so wenig Schutz und Beistand bei ihm finden können.
Indessen ganz anders und schwerer, als die Luxemburger An
gelegenheit, beunruhigt mich jetzt die Cholera, die uns immer näher
bedroht, und gegen die wir auch schon auf der Weser Vorsichtigkeits-
Maassregeln und Quarantäne-Anstalten haben treffen müssen. Noch ist
zwar, so viel wir wissen, Königsberg und Dorpat frei, aber beiden
und also auch unserem Bessel und Struve die Gefahr sehr nahe. Das
gestrige Gerücht, dass sie auch in Rostock und Flensburg ausge
brochen sei, hat sich Gottlob nicht bestätigt und scheint ungegründet.
Der Himmel bewahre das näher bedrohte Lübeck! Wenn sich dieses
nur des furchtbaren Feindes erwehrt, so werden auch wir, denke ich,
dieses Jahr noch sicher sein.