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Olbers an Gauss. Bremen, 1831 September 24.
No. 664. Olbers an Gauss. [352
Bremen, 1831 September 24.
Mit der innigsten Theilnahme habe ich den Tod Ihrer theuren
Gattin erfahren, von dem mich ein Schreiben von Harding schon
unterrichtet hatte, ehe ich Ihren Brief erhielt. Leider waren die Um
stände so, dass wir dem Himmel danken müssen, dass er die unaufhörlichen
Leiden der armen Dulderin, die keine menschliche Kraft oder Kunst
mehr heben, vielleicht nur selten einmal lindern konnte, endlich ge
endigt hat. Tröstend ist es für mich, dass Sie in dem Beistände Ihrer
geliebten Töchter eine so wesentliche Hülfe in Ihrem Hauswesen finden,
und von dem jetzigen Gesundheits-Zustande Ihres Hrn. Sohnes, meines
Pathen, beruhigende Nachrichten erhalten haben.
Ich habe diesen Sommer öftere Anfälle von Schwindel gehabt, bin
aber doch sonst ziemlich wohl gewesen. Jetzt habe ich seit etwa
4 Wochen die Freude, meine geliebte Schwester, die Landes-Oekonomie-
Räthin Meyer, und mehrere andere Verwandte bei mir zu sehen. Die
Gegenwart dieser lieben Gäste erheitert mich sehr und bringt in meiner
sonst so einförmigen Lebensart eine höchst angenehme und wohlthätige
Abwechslung hervor. — Den gestirnten Himmel sehe ich nur sehr
selten an; ich bin zu sehr zu Erkältungen geneigt, und darf es nicht
wohl mehr wagen, mich der kalten Nachtluft auszusetzen. Auch war
kein besonderer Reiz dazu [vorhanden], da es, so viel ich weiss, seit
längerer Zeit weder am Himmel noch auf Erden etwas sonderlich Neues
in astronomicis giebt.
Die sich stets mehr nähernde Cholera erfüllt auch den grössten
Theil meiner Mitbürger mit banger Furcht. Mich dünkt, es muss in
vieler Hinsicht, wenn diese böse Krankheit doch einmal kommen soll,
beruhigend für jedes Individuum sein, 1) dass sie ansteckend, nicht
bloss epidemisch ist, und nur durch ein contagium befallen kann,
2) dass die Wirksamkeit dieses contagii sehr beschränkt scheint, sich
also leichter vermeiden lässt, 3) dass das contagium nur bei denen
die Krankheit hervorbringt, die dazu prädisponirt sind, und dass sich
durch ein schickliches Regime diese Prädisposition fast ganz beseitigen
lässt. Für mich selbst habe ich gar keine Besorgniss. Nicht als
wenn ich mich ganz sicher gegen diese Krankheit hielte, sondern weil
ich als 73 jähriger Greis überhaupt nicht viel mehr am Leben zu ver
lieren habe, und in dem so oft wiederkehrenden Schwindel täglich eine
viel nähere Todesgefahr vor mir sehe. Aber für meine näheren Freunde
und besonders für meinen Sohn bin ich nicht ohne grosse Besorgniss.
Als Civilstands-Beamten müssen ihm alle Todesfälle und Geburten von