Olbers an Gauss. Bremen, 1885 April 20.
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des zunehmenden Alters, über die ich kein Recht zu klagen habe, da
ich jeden noch zu erlebenden Tag als ein überzähliges Gnadengeschenk
ansehen muss.
Mein Sohn und mein Schwiegersohn haben auch mehrere Monate
gekränkelt und mir mitunter manche Sorge gemacht. Beide werden
diesen Sommer eine ernstliche Kur gebrauchen müssen.
Doch genug von diesen Infirmitäten. Nun zuerst, mein aller-
theuerster gütiger Freund, meinen herzlichsten, innigsten Dank für Ihre
interessanten Mittheilungen über die von Ihnen entdeckten Wunder des
Magnetismus. Staunen erregen mir die gleichzeitigen Schwingungen
der Magnet-Nadeln in dem astron. Observatorium, dem magn. Obs.
und dem physikalischen Kabinet, und ihre Gesetze, ob Sie selbst gleich
schon alle diese Erscheinungen nach einer mir noch ganz unbegreif
lichen Theorie vorausgesehen haben. Ein ebenso grosses Staunen die
so genau gleichzeitig stattfindenden, augenblicklichen Anomalien auf
eine grosse, noch unbestimmte Entfernung, sowohl in Länge als in
Breite, wovon die mir so gütig geschickte schöne Karte der Ver
änderungen zwischen Göttingen, Leipzig und Berlin, und nun in den
Astronomischen Nachrichten zwischen Mailand und Kopenhagen so
bewundernswürdige Beweise liefern. Wissen möchte ich nur im All
gemeinen, ob Sie die Ursachen dieser schnellen Schwankungen in kos
mischen oder terrestrischen Einwirkungen suchen, und ob Sie im letzteren
Fall auch das Innere unserer Erde für eine glühende geschmolzene
Masse zu halten geneigt sind? — Freilich hätte ich noch viele andere
Fragen zu machen, deren, wenn auch nur partielle Beantwortung mir
sehr erwünscht sein würde, z. B. haben Sie schon die mittlere absolute
Inklination und Deklination der Nadel für Göttingen genau bestimmt?
Nimmt die westliche Dekl. noch immer ab, und in welchem Verhält
nisse? Finden auch nach den Jahreszeiten Veränderungen in der mitt
leren Dekl. statt, und befolgen diese noch dieselben Gesetze, wie sie
Cassini am Ende des vorigen Jahrhunderts fand? etc. etc. Doch es
würde unbescheiden sein, auf diese Fragen jetzt von Ihnen Auskunft
zu verlangen, und ich will gern warten, bis das, was Sie der Welt öffent
lich mittheilen werden, uns darüber belehren wird.
Der ÜALLEY’sche Komet 1 ) hat nirgends vor seiner Konjunktion
erblickt werden können. Ein Beweis, dass er an Grösse und an Hellig
keit bei gleichem Abstande von der Sonne sowohl dem grossen Kometen
von 1811, als auch dem von 1825 bei weitem nachsteht. Überhaupt
x ) Zweite vorausbereclmete Wiedererscheinung des HALLEY’schen Kometen (Komet
1835 III), welche erst im Aug. 1885 wahrgenommen wurde. Vergl. Brief No. 689
lind 690, ferner Olbeks Bd. I No. 127—129. Krm.