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Wie aus der Tabelle hervorgeht, ist die Bindung, die zweckmäßig
als Doppelbindung bezeichnet werden mag, viel schwächer als die einfache
Bindung, solange die Entfernung e der beiden Moleküle (eigentlich ihre
Ladungen) größer ist als der Abstand d der beiden Ladungen im Molekül.
Wenn e gegen Null konvergiert, so nähert sich die zur Lösung der Doppel
bindungen nötige Energie dem doppelten Werte für die einfache Bindung.
0
Wenn — =0,514 wird, so werden die beiden Energien gleich,
d
Nun ist es wohl natürlich anzunehmen, daß die Moleküle nicht näher
aneinander kommen, als die Distanz zweier Valenzstellen im selben Atom
beträgt. Es ist daher begreiflich, daß im allgemeinen die Doppelbindung
bedeutend schwächer als die einfache Bindung ist. Die Doppelbindung
kann offenbar durch äußere elektrische Kräfte nicht zerrissen werden, denn
bei der Trennung verschiebt sich gleichzeitig gleichviel positive wie negative
Elektrizität. Ein Potentialgefälle kann also keine Arbeit veranlassen, woraus
folgt, daß die elektrische Triebkraft gleich Null ist.
Bei diesen elektrischen Doppelbindungen tritt die Eigentümlichkeit
hervor, daß die Bindungen innerhalb der einzelnen Moleküle vollkommen
unberührt bleiben, wenn sich das eine, z. B. HCl, an das andere, z. B. NH 3
anschließt. (Sekundär können Umwandlungen, z. B. Ionenabspaltungen, ein-
treten.) Man kann deshalb sagen, daß bei dieser, der molekularen ent
sprechenden Bindung, die verbundenen Körper unverändert bleiben, wie
Salz und Wasser in den kristallwasserhaltigen Salzen. Wird-die eine Ladung
abgespalten, wie bei NH 4 C1, so wird natürlich die Doppelbindung gelöst und
zwischen dem einen Teilmolekül (hier H) und dem zweiten unveränderten
Molekül (hier NH 3 ) kommt ein näherer Zusammenschluß zustande. Wenn
dagegen keine nachträglichen Reaktionen eintreten, so bleiben alle haupt
sächlichen Eigenschaften der durch Doppelbindung vereinigten Moleküle
erhalten und man kann sie in der Verbindung als fortbestehend ansehen. Da
durch unterscheidet sich die Doppelbindung von der einfachen, z. B. der
Bindung eines K-Atoms an ein J-Atom.
Es gibt nur ziemlich wenige Moleküle oder Atome, denen diese Fähig
keit eigen ist, durch Doppelbindung mit anderen ähnlichen Molekülen oder
Atomen zusammenzutreten. In erster Reihe steht das Wasser, daher muß
man dem Sauerstoff außer den zwei negativen Valenzen noch eine Doppel
valenz mit einer positiven und einer negativen Ladung zuschreiben. In
jüngster Zeit haben sich ja ohnedies viele Forscher, z. B. Baeyer und
Villiger 1 ) veranlaßt gesehen, Vierwertigkeit beim Sauerstoff anzunehmen. i)
i) Baeyer und Villiger, B. Ber. 34, 2679, 3612, 1901. 35, 1201, 1902.