Full text: Theorien der Chemie

also wenig von 109,47° verschieden. Die Stabilität dieser Ringe nimmt 
stetig zu, vom Dimethylen bis zum Pentamethylen. Bei den sechsgliedrigen 
Ringen ist der Winkel 120°, wenn alle Kohlenstoffatome in einer Ebene 
liegen; wenn sich aber zwei diametral entgegenstehende Kohlenstof fatome 
etwas aus der Ebene der vier übrigen hinauszuschieben vermögen, so können 
sie eine solche Lage einnehmen, daß die Spannung der Valenzen überall 
Null wird. Ähnliches gilt für alle Ringe mit mehr als fünf Kohlenstoffatomen. 
In gewissen Fällen hat man angenommen, daß durch Einführung von 
stark raumerfüllenden Atomgruppen in der Nähe einer reaktionsfähigen 
Gruppe, wie z. B. Karboxyl, COOH, diese verhindert werden würde andere 
größere Atomkomplexe anzulagern. So sollte nach Victor Meyer eine sub 
stituierte Benzoesäure, C 6 H 5 COOH, in welcher zwei der Karboxylgruppe 
benachbarte Wasserstoffatome durch Atomkomplexe ersetzt sind, nicht Ester 
bilden können. Diese Regel hat sich jedoch nicht bewährt, wie besonders 
die Untersuchungen von Rosanoff und Plager 1 ) zeigen. 
Daß die räumliche Lage der Atome im Molekül einen großen Einfluß 
auf seine physikalischen und chemischen Eigenschaften ausübt, tritt be 
sonders deutlich in den Untersuchungen von Ostwald 1 2 ) über die Stärke 
der Säuren hervor. Wenn nämlich in einer Säure ein „negatives“ Radikal 
wie OH, N0 2 , CI usw. ein Wasserstoffatom ersetzt, so wird die neuentstandene 
Säure stärker als die ursprüngliche, und zwar in um so höherem Grade, je 
näher das eingetretene Radikal zum Karboxyl steht. „Damit ist,“ wie Ost- 
wald sagt, „zum ersten Male ein Mittel gewonnen, räumliche Messungen am 
molekularen Gebäude vorzunehmen.“ 
Eine sehr sonderbare physikalische Eigenschaft, die mit der räum 
lichen Anordnung der Atome im Molekül in Zusammenhang gestellt worden 
ist, ist die Fähigkeit flüssige Kristalle zu bilden. Die meisten Körper, 
welche solche Kristalle geben, sind Benzolderivate, und zwar Substitutions 
produkte mit sogenannter Para-Stellung der Substituenten, wodurch eine 
langgestreckte Gestalt des Moleküls nach den jetzigen Anschauungen be 
dingt wird. 3 ) 
Die Vorstellung von einer räumlichen Anordnung der Atome im Mole 
kül hat, wie ersichtlich, sich als sehr nützlich für die chemische Forschung 
erwiesen. 
Bevor wir dieess Kapitel verlassen, möge kurz auf die sonderbaren 
1 ) M. A. Rosanoff und W. L. Prager, Jouru. Amer. Ch. Soc. 30, 
1895, 1908. 
2 ) W. Ostwald, Ztschr. f. phys. Ch. 3, 115, 1889. 
3 ) Vgl. die Monographie „Kristallinisch-flüssige Substanzen“ von D. Vor 
länder, Stuttgart 1908.
	        
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