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Thomsonsche System würde sich also, wenn es ausgearbeitet würde, be
trächtlich von seinem Vorbild unterscheiden.
Man könnte denken, daß diese Schwierigkeit vielleicht verschwindet,
wenn die Atome nicht durch Ringe von Elektronen, die einander parallel
liegen, sondern durch eine andere Anordnung der Elektronen dargestellt
würden, die der dreidimensionalen Ausdehnung des Atoms besser entspricht;
aber wie Thomson bemerkt, würden sich die allgemeinen Züge seines
Systems durch eine solche Abänderung nicht wesentlich ändern.
Ein anderer Einwand kann diesem Schema daraus gemacht werden,
daß es zwei Elemente der Gruppe 0 in jeder Reihe verlangt. So sollte in
der dritten Reihe das Neon sowohl der Verbindung von 58 Elektronen wie
der Verbindung von 59 Elektronen entsprechen. Wir wissen nichts von
einer solchen Verdoppelung der Elemente der Gruppe 0. Ferner, wenn z. B.
das 59-Atom labil ist und eins seiner Elektronen verliert, warum soll es
seine Stabilität gerade nur dadurch gewinnen können, daß es das verlorene
Elektron wieder an seine Außenfläche zieht, und nicht ebensogut dadurch,
daß es ein einwertiges negatives Atom anzieht, z. B. ein Chlorion? In dieser
Weise vereinigt sich ja das positive Kaliumion mit dem negativen Chlorion
und bildet Salzmoleküle. Es ist wohl nicht zu umgehen, einen besonderen
Grund dafür beizubringen, warum das 59-Atom sich nicht auf dieselbe Weise
seine Stabilität verschafft, mit anderen Worten, warum das 59-Atom nicht
ebensogut ein positiv-einwertiges, wie ein valenzloses Atom sein kann.
Sehr interessant ist, daß zu derselben Zeit, als Thomson seine Ideen
über die Zusammensetzung der Materie ausarbeitete, der japanische Physiker
Nagaoka auf ähnliche Annahmen kam, um die optischen, insbesondere die
spektralen Eigenschaften der Materie zu erklären. Er nimmt eine Bewegung
der Elektronen, gleichfalls in konzentrischen Ringen, aber um einen positiv
geladenen Mittelpunkt an. Nagaoka 1 ) betrachtet die ganze positive Ladung
als in einem Punkt vereinigt, nicht gleichmäßig über eine Kugelfläche verteilt.
Nagaoka sowohl wie Thomson haben eine Vorstellung ausgearbeitet, um
das Zerbrechen des Radiumatoms in Helium und etwas anderes zu erklären.
Lenard * 2 ) stellte eine breite Bunsenflamme in ein elektrisches Feld,
d. h. zwischen zwei Metallplatten, die vermittels einer galvanischen Batterie
auf verschiedenem Potential gehalten wurden. Dann brachte er eine Perle
von einem Alkalisalz in die Flamme. Von der Perle steigt dabei eine ge
färbte Gassäule hinauf. Wenn die Metallplatten ungeladen sind, ist die
Säule senkrecht; wenn die Platten aber geladen sind, wird das obere Ende
der Säule nach der negativ geladenen Platte hin abgelenkt, so daß die Säule
D Nagaoka, Nature 69, 392, 1904.
2 ) Lenard, Ann. d. Phys. 9, 642, 1902.