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Vielen Physikern ist die Idee sehr sympathisch, daß die Materie nur
scheinbar und auf die Bewegung von elektrischen Ladungen zurückzuführen
sei. Besonders hat Sir J. J. Thomson, mit dessen Berechnung, daß die
Anzahl der Elektronen im Atom dem Atomgewicht nahezu gleich ist, diese
Ansicht jedoch schwer vereinbar zu sein scheint, in seinen interessanten
Büchern „Electricity and Matter“ (1904) und „The corpuscular theory of
matter“ (1907) die Theorie ausgebildet, daß die Materie eine Manifestation
elektromagnetischer Kräfte sei. Danach wäre die Masse nicht unveränderlich,
dann nämlich, wenn ihre Geschwindigkeit mit der des Lichtes vergleichbar
würde. Dieser Fall kommt in der Wirklichkeit nicht vor, ausgenommen bei
den neuen Strahlungsgattungen. Die Eruptionen aus dem neuen Stern im
Perseus, und die schnellsten beobachteten Sonnenprotuberanzen erreichten
nämlich nur 750 bezw. 850 km p. Sek. Diese größten Geschwindigkeiten,
die an gewöhnlicher Materie beobachtet worden sind, sind also etwa 400 mal
geringer als die des Lichtes, so daß auch in solchen Fällen keine merkliche
Änderung der Masse zu beobachten wäre. Neue Untersuchungen auf diesem
Gebiete sind aber wohl nötig, ehe die erwähnte Ansicht allgemein Aufnahme
finden kann.
9. Kapitel: Theorie der Gase.
Bisher haben wir uns hauptsächlich mit den Eigenschaften der Atome
befaßt; wir wollen nun die Eigenschaften der Moleküle zu betrachten ver
suchen. Die großen Entdeckungen die die Chemie zu einer Wissenschaft
im heutigen Sinne des Wortes gemacht haben, waren die Früchte der Unter
suchungen an Gasen. In alten Zeiten sah man alle Gase als eine Art Luft
an, und langsam nur führte die Erfahrung zu der Erkenntnis, daß ver
schiedene Gase mit sehr verschiedenen Eigenschaften existieren.
Im 17. Jahrhundert führte Boyle seine grundlegenden Arbeiten über
Gase aus und entdeckte das Gesetz, das seinen Namen trägt. Er schloß
eine bestimmte Menge Gas in ein U-Roht ein, dessen einer Schenkel offen,
der andere geschlossen war. In den offenen Schenkel goß er Quecksilber
und sperrte so das Gas ab. Wenn er den Druck erhöhte, indem er mehr
Quecksilber zugoß, nahm das Gasvolumen ab. Boyle fand, daß das Vo
lumen dem Druck umgekehrt proportional war, und die mathematische
Formulierung seines Gesetzes ist daher:
. 1
v = k • oder pv = k oder p = k • c
P