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und eine Reihe Gesetze und Regelmäßigkeiten, betreffend die spezifische
Wärme, innere Reibung, Wärmeleitfähigkeit, Diffusion und in späterer Zeit
die Breite der Spektrallinien (Michelson) 4 ) sind mit Hilfe dieser Theorie
auf gefunden worden. Aber andrerseits läßt sich das Avogad rösche Ge
setz nur mit Schwierigkeiten daraus ableiten und manche der neueren Ent
wicklungen in dieser Theorie sind durch einen Mangel an Einfachheit ge
kennzeichnet. Wir müssen daher sagen, daß die kinetische Gastheorie ein
in vielen Fällen schwer zu handhabendes Werkzeug ist. Der Wert einer
Theorie als eines Werkzeugs besteht aber in ihrer Anwendbarkeit. Dieser
Umstand hat in neuerer Zeit zu einer Unterschätzung dieser Theorie geführt,
die ebensowenig berechtigt ist, wie die Überschätzung vor dreißig Jahren.
Im Jahre 1827 hatte der englische Botaniker R. Brown gefunden, daß
in einer Flüssigkeit schwebende kleine Partikelchen von der Größenordnung
0,001 mm, mit dem Mikroskop betrachtet, eine eigentümliche zitternde Be
wegung zeigen. Diese Bewegung wurde, speziell nach den Arbeiten von
Regnauld (1857), C. Wiener (1863), S. Exner (1867), Renard (1874)
und Gouy (1888) 2 ), aus deren Versuchen hervorging, daß sie mit der Tempe
ratur und Fluidität der Flüssigkeit und der Kleinheit der Partikelchen zu
nimmt, mit derjenigen der Moleküle als gleichartig angesehen, und deshalb
die Brownsche Molekularbewegung genannt. Nachdem in jüngster Zeit die
Lösungen der Kolloide, welche äußerst kleine mit dem Ultramikroskop be
obachtbare Partikelchen enthalten, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen
haben, ist auch die Brownsche Bewegung Gegenstand zahlreicher, so
wohl theoretischer (besonders von Einstein) als auch experimenteller
(besonders von Svedberg) Untersuchungen gewesen. Diese zeigten in
solch überzeugender Weise die Analogie mit der Molekularbewegung, daß
Ostwald der in den letzten Jahren energisch die kinetische Gastheorie
bekämpft hat, die hohe Wahrscheinlichkeit dieser Theorie zugegeben hat. 3 )
Die auffallendsten Versuche über die Brownsche Bewegung sind von
F. Ehrenhaft veröffentlicht worden 4 )- Er stellte außerordentlich feinen
Silberstaub durch Zerstäubung in einem Lichtbogen dar. Der Durchmesser
der Partikelchen war nur etwa 3 Millionstel cm, so daß sie kaum mit dem
Ultramikroskop zu sehen waren und lange in der Luft schweben blieben.
(Sie sind 366 Millionen mal schwerer als ein Wasserstoffatom). Danach * 2 3 4
1) Michelson, Phil. Mag. (5), 34, 280, 1892.
2 ) Gouy, Journal de Physique (2), 7, 561, 1888. Die ältere Literatur
ist verzeichnet in 0. Lehmann, Molekularphysik 1, 264, 1888.
3 ) In einem Referat über Svedbergs Abhandlung in Nova Acta R. Soc.
Scient. Upsaliensis 4, 2; No. 1,1907, gedruckt in Zeitschr. f. phys. Ch. 64, 508,1908.
4 ) F. Ehrenhaft, Sitz.-Ber. der Wiener Ak. Abt. 2a Bd. 116, 1139, 1907.