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im Verhältnis 1,17 zu 1 stehen. Weil die Zahl der Moleküle beim Zerfall von
2 zu 3 zunimmt, so steigt dieser bei abnehmendem Druck und zwar ungefähr
im Verhältnis 2zul bei einer Abnahme des Druckes im Verhältnis lOzul.
Bei sehr niedrigen Dissoziationsgraden soll die Zunahme im Verhältnis
\r 10 = 2,15 wachsen, wenn der Druck auf 0,1 herabgeht. Genaue Werte für
jeden Fall erhält man durch Rechnung aus der Gleichgewichtsgleichung.
Ein Dissoziationsprozeß, der seit den entlegensten Zeiten praktisch
angewendet worden ist, ist die Kalkbrennerei, bei der Kalziumkarbonat,
CaC0 3 , in Ätzkalk, CaO, und Kohlendioxyd, C0 2 , zerlegt wird. Dieser
Prozeß ist von Debray 1 ) untersucht worden. Wir haben hier ein
heterogenes Gleichgewicht mit zwei festen Phasen (CaC0 3 und CaO),
und einer gasförmigen Phase (C0 2 ). Das Gleichgewicht in einem homo
genen System nennt man gewöhnlich ein homogenes Gleichgewicht,
die entsprechende Bezeichnung für das Gleichgewicht in einem heterogenen
System ist heterogenes Gleichgewicht. Die homogenen Teile eines
heterogenen Systems heißen nach Gibbs die Phasen dieses Systems.
Beim Gleichgewicht zwischen Eis, Wasser und Wasserdampf bei 0°C sind
drei Phasen vorhanden, eine feste — Eis —, eine flüssige — Wasser —
und eine gasförmige — Wasserdampf. Bei der CaC0 3 -Spaltung besteht
die Gasphase aus nur einer Art von Molekülen, ebenso wie bei der
Verdampfung einer Flüssigkeit, z. B. Wasser. Für solche Fälle verlangt
die Thermodynamik, daß bei gegebener Temperatur der Druck des Gases
(hier C0 2 ) einen bestimmten Wert hat. Bei 440° C ist dieser Druck p
unmerklich, bei 610° C erreicht er 4,6 cm, bei 745° C 28,9 bei 865° C
133,3 cm Hg (nach Le Chatelier). Die Thermodynamik lehrt, daß hier
d ln p W
dt = 1,99 T * 2
wo W die Dissoziationswärme ist und T die absolute Temperatur. Diese
letzte Formel ist eine Abart der van’t Hoffschen (S. 156). Eine Berech
nung von W aus den Dissoziations-Spannungen bei 745 °C und 865° C mit
Hilfe dieser Formel ergibt W = 29 300 cal. (29750 cal. nach Debrays
Daten) in sehr guter Übereinstimmung mit dem direkt gefundenen Werte
von 30800 cal. (nach Favre und Silbermann).
Die genauesten Messungen dieses Vorgangs rühren von Zavrieff 2 )
her, der folgende „Dissoziationsdrucke“ p (in mm Quecksilber) bei der
nebengeschriebenen Temperatur t (in °C) gefunden hat,
D Debray, C. r. 64, 603,1867. Vgl. Le Chatelier, C. r. 102, 1243, 1886.
2 ) Zavrieff, Compt. rend. 145, 428, 1907.