167
chemischen Messungen bekannt. Diese Reihenfolge war ganz die gleiche
wie die der Leitfähigkeit in äquivalenten Lösungen. Diese Übereinstimmung
führte mich zu der Annahme, daß chemisch aktive Moleküle identisch mit
elektrisch aktiven sind, und daß die Leitfähigkeit der Säuren daher als
ein Maß ihrer Stärke betrachtet werden kann. Weiter wurde geschlossen,
daß die Geschwindigkeit einer Reaktion, die von verschiedenen Säuren
hervorgebracht wird, der Leitfähigkeit der betreffenden Säure proportional
ist. Ich hatte sehr wenige Zahlen, an denen ich dieses Gesetz experimentell
bestätigen konnte, aber Ostwald unterzog es bald darauf einer Prüfung
an Hand seines reichen Materials an Bestimmungen der Reaktionsgeschwin
digkeit, das er durch Messungen der Leitfähigkeit der angewandten Säuren
vervollständigte. Seine Untersuchung ergab eine vollständige Bestätigung
des Gesetzes 1 ).
Allgemein gesprochen scheint ein gewisser Parallelismus zwischen
elektrischer Leitfähigkeit und chemischer Aktivität zu bestehen. Gore' 2 )
fand, daß reiner Chlorwasserstoff Oxide und Karbonate nicht merklich
angreift, er ist auch nahezu ein Nichtleiter der Elektrizität. In denselben
Zusammenhang kann die Tatsache gebracht werden, daß konzentrierte
Schwefelsäure in Eisengefäßen transportiert werden kann, während ver
dünnte Schwefelsäure Eisen rasch angreift.
Von den aktiven Molekülen der Elektrolyte wurde angenommen, daß
sie den Molekülen entsprechen, die nach der Hypothese von Clausius
ihre Ionen austauschen.
Im Jahre 1885 veröffentlichte van’t Hoff :i ) eine Abhandlung, die
die Analogie des gasförmigen und gelösten Zustandes der Materie zum
Gegenstand hatte. Vorher war bekannt, daß die Stoffe in sehr verdünnter
Lösung Regelmäßigkeiten zeigen, die an das Verhalten der Gase erinnern.
So finden wir einige allgemeine Bemerkungen in dieser Richtung in den
Arbeiten von Horstmann und Jul. Thomsen. Aber van’t Hoff war
der erste, der klares Licht in diesen Gegenstand brachte.
Raoult 1 ) hatte gefunden, daß der Gefrierpunkt eines Lösungsmittels,
in dem verschiedene Stoffe gelöst sind, proportional der Anzahl der in
100 g des Lösungsmittels gelösten Moleküle erniedrigt wird. Er gab folgende
Formel als Ausdruck der Erscheinung:
dt = 0,63n, * 2 3 4
U Ostwald, Journ. f. pr. Ch. (2) 30, 93, 1884.
2 ) Gore, J. pr. Ch. 97, 188, 1862.
3 ) van’t Hoff, Kongl. Svenska Vet. Akad. Handlingar 21, 1885. Neudruck
in Ostwalds Klassiker No. 110, 1900, Archives Neerlandaises, 1885, Zeitschr. f.
phys. Ch. 1, 481, 1887.
4 ) Raoult, C. r. 94, 1517. 95, 1030, 1882. A. ch. ph. (5) 28, 137, 1883.