Full text: Theorien der Chemie

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Die kombinierte Theorie des osmotischen Druckes und der elektro 
lytischen Dissoziation haben in der kurzen Zeit ihres Bestehens weitaus 
gedehnte Anwendung erfahren. Das ist leicht zu begreifen, wenn man 
bedenkt, daß die Eigenschaften aller nicht zu sehr konzentrierten Lö 
sungen mit Hilfe der Gesetze des osmotischen Druckes behandelt und 
vorhergesehen werden können, während früher nur die Gase, die eine weit 
geringere praktische Bedeutung als die Lösungen haben, einer theore 
tischen Behandlung mit Hilfe ihrer Zustandsgleichungen zugänglich waren. 
Die Theorie der elektrolytischen Dissoziation bringt die zahlreichen elek 
trischen Erscheinungen in innigen Zusammenhang mit den allgemeinen Ge 
setzen der Materie, und mit den Gesetzen der Reaktionsgeschwindigkeit. 
Die gleichzeitige Einführung dieser beiden Theorien in die allgemeine 
Chemie erschloß ein so weites Feld, daß manche Autoren vergaßen, daß 
vor diesen Entdeckungen überhaupt eine theoretische Chemie existiert 
hatte. Andererseits gab es einige Gelehrte, die fanden, daß die Ent 
wicklung zu geschwind vor sich ging, und die es für möglich hielten, die 
neuen Ideen zu verwerfen, ohne zu spüren, daß sie folgerichtig auch 
die anerkannte feste Grundlage fundamentaler Vorstellungen mit auf 
geben mußten. 
Ich kann hier nur eine ganz kurze Übersicht über die neuen Ge 
biete geben, die der theoretischen Forschung durch diese Fortschritte er 
öffnet wurden 1 ). 
Die allgemeinste und meistumfassende Folgerung, die sich aus der 
Theorie der elektrolytischen Dissoziation ziehen läßt, ist die, daß die Eigen 
schaften einer stark verdünnten Lösung eines Elektrolyten additiv sein 
müssen, d. h. gleich der Summe der Eigenschaften des Lösungsmittels 
und der verschiedenen Ionen, in die der Elektrolyt zerfallen ist. 
Nun ist es wohl bekannt, daß solche additiven Eigenschaften auch 
in großer Ausdehnung bei Stoffen gefunden worden sind, die durchaus 
nicht als dissoziiert angesehen werden können. Z. B. das grundlegende 
Gesetz der Erhaltung der Materie, das von Lavoisier gefunden ist, be 
sagt nichts anderes, als daß die Masse einer Verbindung genau gleich der 
Summe der Massen der Bestandteile ist. (Tatsächlich ist die Masse die 
einzige streng additive Eigenschaft der Materie, vgl. S. 13.) 
Es gibt andere solche Eigenschaften, die nur annähernd additiv sind, 
J ) Vgl. die Lehrbücher von Ostwald, Nernst, Arrhenius, Cohen, 
Jones, Jahn, die Vorlesungen von van’t Hoff etc., Abegg, Die Theorie 
der elektrolytischen Dissoziation, Ahrens Samml. chem. Vortr. 8, No. 5—7, 1903 
etc., welche die neuen Entwicklungen behandeln.
	        
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