Full text: Theorien der Chemie

Mayers wurde geringschätzig beurteilt und nur wenige Gelehrte beachteten 
sie. Ebenso erging es der gleichzeitigen Arbeit des dänischen Ingenieurs 
Colding. Aber hinter diesen Pionieren kam eine neue Reihe theoretischer 
Denker, vor allem Helmholtz, Kelvin, Maxwell und Clausius, die die 
Theorien Ca mots und Mayers entwickelten, so daß ein theoretisches 
System emporwuchs, das jetzt die ganze wissenschaftliche Physik und einen 
großen Teil der Chemie beherrscht. Die bedeutendsten neuen Erweiterungen 
dieses Systems verdankt man van’t Hoff und Gibbs für chemische Er 
scheinungen und Bartoli, Boltzmann, Wien und Planck für optische 
Erscheinungen. 
Keine andere Arbeit hat ihren Charakter der modernen Wissenschaft 
so deutlich aufgeprägt, wie diese theoretische Entwicklung. Es ist daher 
ganz unbegreiflich, daß die Ansicht ausgesprochen werden und willige Zu 
hörer finden kann, daß man die theoretische Arbeit lieber bleiben lassen 
und nur Versuche sammeln und registrieren sollte. Diese Ansicht kann als 
ein Nachklang von Rousseaus Grundsätzen gelten, wonach der unzivilisierte 
Zustand für die Menschheit am besten sei. 
Bei gewöhnlichen Untersuchungen ist der Phantasie oft eine nur be 
schränkte Rolle gegeben. Die Aufmerksamkeit ist fast ganz an die exakte 
Bestimmung des experimentellen Bodens geheftet. Wenn Daten in ge 
nügender Anzahl gesammelt sind, dann beginnt die theoretische Ausarbei 
tung. Dann ist die Hauptsache, die Ergebnisse verschiedener Versuche zu 
kombinieren und die gemeinschaftlichen und allgemeinen Züge herauszu 
finden, die zufälligen Besonderheiten aber auszuscheiden, die bei jedem Ver 
such als Folge der unvermeidlichen Fehler auftreten. Bei dieser Tätigkeit 
ist der Phantasie die wichtigste Rolle zuerteilt, da sie aus einer unendlichen 
Anzahl möglicher Kombinationen die einfachste und wahrscheinlichste her 
ausgreifen muß. Oft sind die Experimente nicht genau genug, so daß zu 
fällige Abweichungen das Gesetz ganz verdecken, das wir suchen. Wir 
können dann auf zwei verschiedenen Wegen Vorgehen. Der rationellere ist, 
die Versuchsmethoden zu verbessern und insbesondere sehr genaue Instru 
mente zu konstruieren, so daß die Versuchsfehler auf einen niedrigen Wert 
reduziert werden. Aber bisweilen ist das unmöglich, besonders bei sta 
tistischen Arbeiten. Dann müssen wir die Anzahl der Beobachtungen ver 
mehren. Wenn wir 40 Beobachtungen gesammelt haben, so ist der Ver 
suchsfehler des Mittelwertes nur halb so groß, als der des Mittelwertes von 
zehn, und bei tausend Beobachtungen ist der Fehler nur ein Zehntel so groß 
wie bei zehn. Allgemein ist der Versuchsfehler des Mittelwertes umgekehrt 
proportional der Quadratwurzel aus der Anzahl Beobachtungen. Natürlich 
ist es sehr mühsam, die Versuchsfehler auf diesem Wege zu reduzieren,
	        
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