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stets in derselben Richtung wirkt. Da nun im vorliegenden Falle kein
Grund für das Auftreten systematischer Fehler entdeckt werden kann,
hätten die Untersucher des Boy 1 eschen Gesetzes den Schluß ziehen können,
daß es bei höherem Druck nicht mehr genau gilt. Genauere und aus
gedehntere Arbeiten, -besonders von Regnault, Natterer und Amagat
zeigten wohl ausgeprägte Regelmäßigkeiten in diesen Abweichungen. So
wurden die Forscher dazu geführt, ein neues Gesetz zu suchen, das bei
äußerst niederen Drucken mit Boy 1 es Gesetz zusammenfiel und andrerseits
bei hohen Drucken keine Abweichungen von den experimentellen Resul
taten ergab. Ein solches Gesetz wurde von van der Waals gefunden und
gab einen überraschenden Einblick in die physikalische Natur der Gase.
Aber weitere Untersuchungen brachten wiederum zutage, daß das
Gesetz von van der Waals nicht alle Fälle umfaßt. Wenn das experi
mentelle Material weiter wächst, werden wahrscheinlich die allgemeinen
Züge der Abweichungen vom van der Waalsschen Gesetz bald klar
hervortreten, so daß ein neues Gesetz formuliert werden kann, mit dessen
Hilfe wir noch mehr Herrschaft über die Natur gewinnen können, als wir
jetzt besitzen.
In dieser Weise schreitet die theoretische Arbeit Schritt für Schritt
vorwärts und vermehrt unsere Kenntnis der Natur. Wenn wir ein Gesetz
gefunden haben, das gleich dem Boyleschen nur innerhalb gewisser Grenzen
gilt, wäre es sehr unvernünftig zu sagen, daß es überhaupt keinen Wert
hat. Viele der wunderbaren Anwendungen der Thermodynamik gründen
sich auf die Annahme der Gültigkeit von Boyl es Gesetz. Wir müssen die
wahrscheinlichen Ursachen suchen, die die Unzulänglichkeit des fraglichen
Gesetzes hervorbringen, von dem Abweichungen konstatiert sind, und müssen
die notwendigen Korrektionen anbringen, von denen wir erwarten dürfen,
daß sie sich mit der Zeit unter ein andres Gesetz fügen werden, das das
ursprüngliche vervollständigt. In dieser Art geschieht der Fortschritt der
Wissenschaft. Die theoretische Überlegung zeigt an, in welcher Richtung
weitere Arbeit den größten Erfolg verspricht. Ohne ihre Hilfe wäre der
Fortschritt sehr langsam oder sogar unmöglich.
Aber der Wert theoretischer Leistungen ist im allgemeinen nicht auf
den Teil der Wissenschaft beschränkt, der direkt der Gegenstand der be
treffenden Arbeit ist. Ohms Gesetz ist ein Beispiel, an dem wir sehen, wie
Fouriers Sätze über Wärmeleitung mit wenig Abänderung zur Erklärung
der Elektrizitätsleitung benutzt werden konnten. Aber dasselbe Gesetz gilt
mit zweckmäßigen Anpassungen auch für die Diffusion gelöster Stoffe,
z. B. Salze, in einem Lösungsmittel, z. B. Wasser. Hier strömt die gelöste
Substanz von Stellen höherer zu Stellen niederer Konzentration, genau wie