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die Wärme von Stellen höherer zu Stellen niederer Temperatur fließt, oder
wie die Elektrizität von Stellen höheren zu Stellen niederen Potentials fließt.
Das entsprechende Diffusionsgesetz heißt nach seinem Entdecker das Fick-
sche Gesetz, und hat genau dieselbe Form wie Fouriers und Ohms Gesetze.
Ferner beschränkt sich der Nutzen theoretischer Untersuchungen
nicht auf die Wissenschaft, in der sie ausgeführt sind. Die Mathematik war
schon im Altertume zu einer hohen Stufe entwickelt, und die Astronomie
konnte ihre Früchte genießen und sich auf diese Weise früh entwickeln.
Mathematische und astronomische Kenntnisse gaben Galilei die Fähigkeit,
das Fundament der rationellen Mechanik zu legen. Das Gebiet der Physik
erstreckt sich viel weiter als das der Mechanik, und sie benutzt auf ihrem
eigenen Gebiet die Ergebnisse mechanischer Forschung, z. B. der Poten
tialtheorie, so daß sie sich nach demselben Plan entwickelt. Die Chemie
ist eine noch extensivere Wissenschaft als die Physik, sie hat die Gesetze
der Thermodynamik übernommen, hat sie zur Erklärung chemischer Er
scheinungen benutzt und so in den letzten 25 Jahren eine theoretische
Basis von der ausgedehntesten Bedeutung gewonnen. Ebenso haben die
biologischen Wissenschaften, die mit noch viel komplizierteren Erschei
nungen zu tun haben als die Chemie, moderne theoretische Methoden von
der Chemie übernommen und haben so in der letzten Zeit Fortschritte ge
macht, die das allerbeste versprechen.
Der Zusammenhang aller Zweige der Naturwissenschaft ist nirgends
so deutlich wie in dem Gebiet der theoretischen Forschung. Alle diese
Wissenschaften haben hohes Interesse an der theoretischen Arbeit, die jetzt
innerhalb der Chemie vor sich geht. Sie hebt nicht nur die Chemie auf ein
höheres wissenschaftliches Niveau, sondern wir dürfen auch wohlbegründete
Hoffnung hegen, daß sie dem Fortschritt der Nachbarwissenschaften zu
gute kommen wird, besonders der Biologie, die für die Entwicklung der
Menschheit die größte Bedeutung hat.
2. Kapitel: Ältere Theorien in der Chemie.
Das Altertum hatte eine große Antipathie gegen das Experimentieren.
Es galt für unwürdig des freien Mannes, und für eine Beschäftigung des
Sklaven. Dagegen stand die philosophische Betrachtung in hohem Ansehen.
Daher war wenig Wahrscheinlichkeit für Ausarbeitung von Theorien vor-
nanden, während Hypothesen blühten. Dieser Zug kommt recht klar in den
Arbeiten von Archimedes zum Vorschein, der das Prinzip erkannte, daß