Full text: Theorien der Chemie

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wenn die Kristallisation zu schwierig anzuwenden wäre, z. B. bei der 
Trennung von Alkohol und Wasser, wo man bei sehr niedrigen Temperaturen 
kristallisieren lassen müßte. Es wäre richtiger zu sagen, daß die Methoden 
der Laboratoriumsarbeit den Methoden der Natur ähnlich sind, als das Um 
gekehrte, wie es Wald hinstellt. 
Nun sind die meisten Substanzen, natürliche sowohl wie künstliche, bei 
gewöhnlicher Temperatur fest, und die festen Körper befolgen das Dalton- 
sche Gesetz. Aber auch bei der Bereitung von Gasen stellen wir in den 
meisten Fällen reine Substanzen dar (oder fast reine — ein gutes Beispiel 
dafür war der aus Luft dargestellte Stickstoff —), und das Daltonsche 
Gesetz gilt daher auch für diese; in der Tat haben wir gesehen, daß Dal ton 
sein Gesetz hauptsächlich aus Beobachtungen an Gasen ableitete. 
Wenn die Temperatur so hoch wäre, daß kein Körper mehr in festem 
Zustande vorhanden wäre, wie es wahrscheinlich unterhalb einer gewissen 
Tiefe in der Erde der Fall ist, so wäre es ganz unmöglich, Chemie zu 
studieren, denn es wären dann keine Gefäße vorhanden, um die chemischen 
Produkte zu isolieren. Sie würden ineinander diffundieren und einige wenige 
Phasen bilden, deren jede eine untrennbare Mischung weit voneinander ver 
schiedener Molekülarten enthalten würde. Die Chemie ist begründet auf 
die Existenz fester Körper. 1 ) Die festen (kristallisierten) Körper aber be 
folgen Daltons Gesetz, und deshalb ist es nicht richtig, zu behaupten, daß 
die Anwendbarkeit dieses Gesetzes auf einer willkürlichen Abgrenzung 
beruht. 
Wir kehren noch einmal zu Walds Ansichten zurück. Er sagt, daß 
wir die konstante Zusammensetzung als Probe auf die chemische Keinheit 
betrachten und deshalb die Substanzen solange umarbeiten, bis sie konstante 
Proportionen zeigen. Das mag für die Gegenwart wahr sein, aber zur Zeit, 
als Berthollet seinen Streit mit Proust hatte, oder als Dal ton sein Ge 
setz entdeckte, war es nicht wahr. Damals war die Ansicht vorherrschend, 
daß die Bestandteile der chemischen Verbindungen durch Kräfte zusammen 
gehalten werden, die analog der besterforschten Kraft, nämlich der Schwer 
kraft, wirkten. Von dieser Ansicht ging Berthollet aus und kam zu dem 
Schlüsse, daß chemische Verbindungen eine konstante Zusammensetzung 
nicht haben können. In der Tat, wenn eine Menge Sauerstoff der Sonne 
entspricht, und verschiedene Mengen Wasserstoff den Planeten, so können 
wir soviel Wasserstoff-Planten zubringen, wie wir wollen, sie werden alle 
von der Sauerstoff-Sonne angezogen werden. Mit anderen Worten, das 
!) Dasselbe gilt für die Geometrie: „Wenn es keine feste Körper in der 
Natur gäbe, so würde auch die Geometrie nicht existieren“ sagtPoincaré (La 
Science et l’hypothese S. 80). 
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