Full text: Theorien der Chemie

Schaft.“ Bergman, der die herrschenden Ansichten über chemische Kräfte 
am Ende des 18. Jahrhunderts am klarsten ausgedrückt hat, war ein ent 
schiedener Gegner von Berthollet. Er äußert sich ausnehmend sachgemäß 
folgendermaßen: „Es ist bekannt, daß in der ganzen Natur ein Bestreben 
der Körper, sich zu vereinigen, obwaltet. Dasjenige, welches die Himmels 
körper in ihren Bewegungen leitet, ist durch die Aufmerksamkeit der Mathe 
matiker zunächst ihren Massen direkt und dem Quadrate ihrer Entfernung 
umgekehrt proportional befunden. Zwischen kleineren Körpern auf unserem 
Planeten herrscht jedoch keineswegs dieses Gesetz, sondern obgleich Massen 
und Entfernungen gleich sind, findet man doch sehr bedeutende Unterschiede 
je nach der verschiedenen Natur der Stoffe. Daß dieselbe Kraft im großen 
ein ganz anderes Verhalten zeigt als im kleinen, glaube ich aus triftigen 
Gründen, kommt daher, daß die Figur nicht merklich die Bewegungen der 
Himmelskörper beeinflußt, deren Durchmesser als unendlich klein im Ver 
gleich zu ihren Entfernungen angenommen werden können, so daß sie als 
schwere Punkte betrachtet werden können; wogegen, wenn die Entfernungen 
gering sind, vermutlich die Form und Lage jedes Partikelchens seine 
Wirkung beeinflußt.“ 1 ) Guldberg und Waage nahmen die Berthollet- 
sche Ansicht, daß die chemische Wirkung von den Massen der wirkenden 
Körper abhängig ist, wieder auf, aber sie setzten sie nicht wie Berthollet 
diesen Massen proportional, sondern nach einer Potenz von denselben. * 2 ) 
Später gingen sie aber zu der einfachen Bert holletschen Annahme zurück. 3 ) 
Erst in ihrer dritten Bearbeitung ihres Gesetzes der chemischen Massen 
wirkung 4 ), also so spät wie 1879, gingen sie zu einer zweckmäßigeren kine 
tischen Betrachtungsweise über. 
Wie wir bereits gesehen haben, ist es unmöglich, anzunehmen, daß die 
Kraft, die die Atome im Molekül zusammenhält, in einer Anziehung nach 
ähnlichen Gesetzen wie die der Schwerkraft besteht. Betrachten wir den 
einfachsten Fall einer Verbindung von nur zwei Atomarten, so muß in einer 
solchen binären Verbindung in vielen Fällen, z. B. HCl, die chemische An 
ziehung zwischen den beiden Atomarten von einer solchen Natur sein, daß 
die eine Art Atome, sobald sie sich mit der äquivalenten Masse der anderen 
Atomart vereinigt hat, auf weitere Atome dieser zweiten Art überhaupt 
') Vorrede, geschrieben 7. Nov. 1774, zu „Scheffers kemislce Föreläs- 
ningar“ 2. Aufl. Stockholm 1796, S. 4. 
2 ) Guldberg und Waage, Christiania Videnskabsselskabs Forhand- 
linger 1864 und 1865 S. 44. Ostwalds Klassiker No. 104, S. 3. 
3 ) Guldberg und Waage, Etudes sur les affinités chimiques, Uni 
versitäts-Programm Christiania 1867. S. 6. Ostwalds Klass. No. 104, S. 10. 
4 ) Journal für praktische Chemie, N. F. 19, 69, 1879. Ostwalds Klassiker 
No. 104, S. 126.
	        
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