Full text: Theorien der Chemie

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Diese, wie wir heute sagen können, durchaus richtige Darstellungs 
weise chemischer Verbindungen wurde in der nächsten Zeit wieder auf- 
gegeben, da man die reine Empirie unter Vernachlässigung theoretischer 
Betrachtungsweisen übermäßig betonte. An Stelle der Atomgewichte be 
nutzte man die sogenannten Äquivalentgewichte und kehrte so auf Prousts 
und Richters Standpunkt zurück, ohne die spätere Entwicklung der Lehre 
von den cheüiischen Verbindungen zu beachten. Um die Verbindungen 
zweier Elemente zu bezeichnen, schrieb man einfach ihre Zeichen neben 
einander, und wenn es mehrere nach verschiedenen Verhältnissen gab, so 
benutzte man verschiedene Zeichen für dasselbe Element. So schrieb man 
die beiden Verbindungen von Eisen und Chlor, das Chlorür und Chlorid, 
feCl und FeCl. Merkwürdigerweise finden sich noch heute, besonders in 
französischen Arbeiten, Reste dieser Darstellungsweise. 
Bei der schnellen Entwicklung der organischen Chemie erwies es sich 
bald als unmöglich, mit dieser Darstellungsweise auszukommen. Um eine 
Übersicht über die Tatsachen zu gewinnen, fand man in dem lange unbe 
achteten oder vergessenen Satze von Avogadro ein sehr nützliches Hilfs 
mittel. Die Anwendung dieses Satzes führte zu solchen Folgerungen, wie 
z. B., daß im Wassermolekül ein Atom Sauerstoff mit zwei Atomen Wasser 
stoff verbunden ist. Ein Atom Sauerstoff vermag also zwei Atome Wasser 
stoff zu binden, oder nach der gebräuchlichen Ausdrucksweise: im Wasser 
ist ein Atom Sauerstoff zwei Atomen Wasserstoff äquivalent. Um dies dar 
zustellen, nahm man an, daß jedes Sauerstoffatom zwei Bindungsstellen oder 
Valenzen besitzt, Wasserstoff dagegen nur eine. Nun kommen Wasserstoff 
und Sauerstoff zusammen mit Kohlenstoff in sehr vielen organischen Ver 
bindungen vor; viele davon sind flüchtig und ihr Molekulargewicht kann 
nach dem Gesetz von Avogadro bestimmt werden. Bei Untersuchungen von 
organischen Metallverbindungen kam Frankland (1852) zur Ansicht, daß 
die Atome eine bestimmte Sättigungskapazität (Valenz) besitzen. Diese 
Ideen wurden von Kolbe und besonders von Kekule (1857) auf genommen 
und weiter entwickelt. Es gelang Kekule, alle diese Verbindungen durch 
Formeln zu symbolisieren, in denen dem Kohlenstoff vier, dem Sauerstoff 
zwei und dem Wasserstoff eine Valenz erteilt war. Diese Zahlen werden 
Valenzzahlen genannt und man sagt, die Valenzzahl des Kohlenstoffs sei vier 
usf. Es gelang ihm weiter, auch die Verbindungen anderer Elemente mit 
Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff durch Formeln darzustellen, in die 
jedes Element mit einer bestimmten Valenzzahl einging, und die nirgends 
mit den Gasdichtebestimmungen in Widerspruch standen. Diese Lehre von der 
konstanten Valenz, insbesondere der Vierwertigkeit des Kohlenstoffs, erwies 
sich als ungemein fruchtbar für die Entwicklung der organischen Chemie
	        
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