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säure, daraus schließt man, nach Analogie ähnlicher Fälle, daß in der
Maleinsäure die beiden Karboxylgruppen benachbart liegen (sogenannte
Cisform), in der Fumarsäure dagegen durch den größten möglichen Ab
stand getrennt (Transform). Zu demselben Schluß war man schon vorher
aus rein chemischen Gründen gekommen. Auf diesem Gebiet haben J. Wis-
licenus und seine Schüler ein großes Belegmaterial gesammelt.
Jede Valenzbindung kann gelöst werden; das gilt ganz allgemein, denn
es ist die Bedingung jeder chemischen Reaktion. Ein Atom oder ein Atom
komplex entfernt sich dabei vom Molekül und ein anderes Atom oder ein
Atomkomplex tritt an seine Stelle. Wie Williamson zuerst hervorge
hoben hat, muß man konsequenterweise zu der Vorstellung kommen, daß
die Atome oder Komplexe sich zeitweise von den Molekülen abtrennen,
auch wenn sie nicht mit anderen Molekülen reagieren. Betrachten wir nun
ein Molekül, in dem die vier verschiedenen Atome A, B, C und D mit
Fig. 10. Modell der Aethylenbindung.
einem Kohlenstoffatom verbunden sind. Die Atome A und B, die gleiche
elektrische Ladung, z. B. positive, besitzen mögen, sind also bisweilen von
dem Kohlenstoffatom getrennt. Somit kann es geschehen, daß A und B
gleichzeitig vom Kohlenstoffatom getrennt sind und bei ihrer Wieder
vereinigung mit dem Kohlenstoffatom können sie Platz wechseln. Dies
ist gleichbedeutend mit einer Umwandlung des ursprünglichen Moleküls in
sein optisches Isomeres. Da nun zwei optische Isomere einander, abgesehen
von ihrer Asymmetrie, vollkommen gleich sind, und auch absolut gleiche
Stabilität besitzen, so muß diese Reaktion so lange vor sich gehen bis
gleich viel Moleküle der zwei Formen in der Mischung vorhanden sind.
Optisch aktive Körper dieser Art müssen sich demnach in Mischungen
gleicher Mengen links- und rechtsdrehender Moleküle, also optisch inaktive
Mischungen (sie werden razemisch genannt) verwandeln. Daß wir über
haupt optische Isomere kennen, beruht nur darauf, daß die Reaktions
geschwindigkeit bei niederer Temperatur meistens zu gering ist, um be
merkbar zu werden. Bei höherer Temperatur geht dagegen die Reaktion
im allgemeinen glatt, so z. B. gehen die optisch aktiven Mandelsäuren bei