100
Mercurichlorid und Mercuricyanid
Man versetze eine Probe Mercurichloridlösung mit frisch ohne
Erwärmen bereiteter Natriumhydrocarbonatlösung: es entsteht
kein Niederschlag, vorausgesetzt, daß die Natriumhydrocarbonatlösung
frei von neutralem Natriumcarbonat war.
Eine zweite Probe werde mit Harnstofflösung versetzt; es entsteht
ebenfalls kein Niederschlag.
Eine Probe festes Mercurichlorid werde mit etwas konzentrierter
Schwefelsäure in einem Probierglase erhitzt: es entweicht kein Chlor
wasserstoff. Beim Sieden der Schwefelsäure destilliert mit ihren Dämpfen
unzersetztes Mercurichlorid hoch und verdichtet sich in den kälteren
Teilen des Probierglases zu Kristallnadeln.
Diese drei Versuche zeigen, daß das Mercurichlorid weniger reaktions
fähig ist als das Nitrat, was nach dem oben Gesagten verständlich ist.
Für die qualitative Analyse ist zu wissen wichtig, daß der beim
Chrom beschriebene Versuch der Darstellung von Chromylchlorid ver
sagt, wenn als Chlorid Mercurichlorid genommen wird.
Die gleichen Resultate erhält man, wenn man die Versuche mit einer
Mercurinitratlösung anstellt, die mit Natriumchloridlösung versetzt ist. Nach dem
Satze, daß sich in der Lösung immer die am wenigsten dissoziierte Verbindung
bildet, setzen sich die Salze zu Mercurichlorid und Natrium nitrat um. Hierin
liegt der Grund, weshalb bei der Liebigschen Harnstoffbestimmung im Harne
nur reine Mercurinitratlösung und ein von Chloriden befreiter Harn verwendet
werden darf.
Zu einer Probe Mercuricyanidlösung setze man etwas Natrium
hydroxydlösung: es fällt nichts aus; ebensowenig, wenn etwas Kalium
jodidlösung hinzugesetzt wird. Erst auf Ammonium sulfidzusatz tritt.
Fällung von Mercuri sulfid ein.
Eine Probe Mercurioxyd werde mit etwas frisch bereiteter Kalium-
cyanidlösung übergossen; sie löst sich zu Mercuricyanid auf — eine
der wenigen Umsetzungen, bei denen in Gegenwart von Wasser, ohne
daß sich ein Niederschlag absondert, Kaliumhydroxyd frei wird.
HgO + 2 KCN + H 2 0 = Hg(CN ) 2 + 2 KOH
Eine dem Mercurichlorid und Mercuricyanid ähnliche, wenn auch
nicht so starke Anomalie zeigen die Halogensalze des Cadmiums und in
noch geringerem Grade die des Zinks. So läßt sich aus einer Cadmium
jodidlösung das Cadmium nur schwierig und unvollständig durch Schwefel
wasserstoff ausfallen. Bei Molekelgewichtsbestimmungen erhält man
beinahe die für die nicht gespaltenen Verbindungen berechneten Werte.
Noch weiter werden die Verhältnisse dadurch kompliziert., daß sich an die
in wäßriger Lösung vorhandenen Ionen des Salzes andere nicht ionisierte
Molekeln desselben Salzes unter Bildung komplexer Ionen anlagern: ,,Auto
komplexbildung“. Damit steht im Einklänge, daß auch das feste Cadmium-
sulfat aus komplizierteren Molekeln besteht, wie der Kristallwassergehalt lehrt;
es gibt ein kristallisiertes Cadminmsulfat von der Formel 3CdS0 4 -f 5H s O und
ein zweites von der Formel 3CdS0 4 -j- 8H,0.