Full text: Experimentelle Einführung in die unorganische Chemie

Theorie der wäßrigen Lösungen 
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untereinander gleich sind. Denn bei der Bildung von Ionen eines Salzes, 
einer Säure oder Base entsteht stets gleichviel negative und positive Elek 
trizität: die Lösung ist in ihrem elektrischen Verhalten nach außen hin „elektro- 
neutral“. 
Viele Ionen enthalten Wasser, das mehr oder weniger fest angelagert ist; 
über die Menge des angelagerten Wassers wissen wir wenig. 
Dissoziationsgrad: Die elektrolytische Spaltung erstreckt sich in den 
Lösungen ni ch t auf alle Molekeln, sondern je nach dem chemischen Charakter 
des Stoffes und den äußeren Bedingungen auf einen bald größeren bald kleineren 
Anteil. Der Bruchteil des Stoffes, der gespalten ist, wird als „Dissoziations 
grad“ bezeichnet. Wenn in einer bestimmten Lösung der Dissoziationsgrad 
des gelösten Stoffes 0*8 ist, so heißt das, daß acht Zehntel des gelösten Stoffes 
der elektrolytischen Dissoziation anheimgefallen sind. 
Molekelgewicht: Diese von Svante Arrhenius in der zweiten Hälfte 
der achtziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts zuerst ausgesprochene Lehre 
erfuhr in den ersten Jahren ihres Bestehens gewaltigen Widerspruch und Zweifel. 
Es werden durch sie aber so viele chemische und physikalische Erscheinungen, 
die bis dahin nicht verständlich waren, in einfacher Weise erklärt, daß wir 
die Theorie als woblgestützt ansehen müssen. Eine der wichtigsten Stützen ist 
die, daß in der Tat die Molekelgewichte der in Wasser gelösten Stoffe, 
die sich direkt bestimmen lassen, der Zerlegung entsprechend kleiner gefunden 
werden, als der ungeteilten Formel zukommt. Bei Natriumchlorid findet man 
z. B. das Molekelgewicht 29*2, also die Hälfte des der Formel NaCl = 58 * 5 
entsprechenden Wertes, weil jede Molekel Natriumchlorid in zwei Molekeln (lenen) 
zerfallen ist. 
Im folgenden seien einige Anwendungen der modernen Lösungstheorie be 
sprochen. Näheres muß Vorlesung und Selbststudium ergeben. 
Neutralisation: Der Vorgang der Neutralisation einer Säure mit einer 
Base in wäßriger Lösung besteht nach der Dissoziationstheorie in folgendem: 
Wenn die Säure (z. B. H', CF) zur Base (z. B. Na", OH') gegeben wird, ver 
einigen sich die Wasserstoffionen mit den Hydroxylionen zu dem elektrolytisch 
nur minimal dissoziierten Wasser, und die Säurerestionen bleiten mit den 
Baserestioncn in Lösung. Also: , 
H- + CF + Na- + OH' = H 2 0 + CF + Na* 
Der einzige Stoff, der sich bei dem Neutralisationsvorgange wirklich bildet, 
ist das Wasser, wie man besonders deutlich sieht, wenn man auf beiden Seiten 
der Gleichung die gleichen Summanden streicht; es bleibt dann 
H- + OH' = H 2 0 
Neutralisationswärine : Diese Erklärung des Neutralisationsvorganges, 
die der älteren Anschauung absolut entgegengesetzt ist, wird durch das 
thermochemische Verhalten unterstützt. Wie schon einmal bemerkt wurde, 
sind alle chemischen Umsetzungen mit thermischen Änderungen verknüpft. Es 
war schon vor Jahrzehnten die damals nicht verständliche Gesetzmäßigkeit 
erkannt worden, daß bei der Neutralisation äquivalenter Mengen beliebiger, 
starker Säuren mit äquivalenten Mengen beliebiger, starker Basen in 
wäßriger Losung jedesmal die gleiche Wärmemenge in Freiheit gesetzt wird. 
Der Grund für diese Erscheinung ist, wie wir jetzt leicht erkennen, der, daß 
bei allen Neutralisationen der chemische Vorgang der gleiche ist, nämlich Bildung 
von Wasser aus den Ionen H‘ und OH'; die frei werdende Wärme ist die 
Bildungswärme des Wassers aus den Ionen H' und OH'. 
Biltz, Einführung. 9.—ll.Aufl. 
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