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Theorie der wäßrigen Lösungen
Leiter zweiter Klasse: Eine übrigens schon alte Anschauung ist die,
daß die Ionen für einen durch eine Lösung gehenden elektrischen Strom die
Träger der Elektrizität sind. Nur solche Flüssigkeiten leiten, die Ionen
enthalten. Wasser ist nur minimal elektrolytisch dissoziiert; also leitet es den
elektrischen Strom so gut wie gar nicht; 1 g Wasserstoff ist als Ion in etwa
4y 2 Millionen Litern Wasser enthalten. Gute Leiter sind dagegen die wäßrigen
Lösungen der Salze, Säuren und Basen, also aller der Stoffe, die wir als elek
trolytisch dissoziiert kennen gelernt haben. Wir fassen diese drei Stoffklassen
unter dem Namen „Elektrolyte“ zusammen. Ein gelöster Elektrolyt leitet um
so besser, je reichlicher er in Ionen zerfallen ist; auf Grund dieser Überlegung
erkennt man, daß man auf rein physikalischem Wege (durch Leitfähigkeitsbe
stimmungen) den Grad der elektrolytischen Dissoziation messen kann. Der Versuch
hat ergeben, daß die auf diesem Wege ermittelten Werte für den Dissoziations
grad eines gelösten Stoffes mit den nach anderen Methoden erhaltenen Werten
(z. B. den aus Molekelgewichtsbestimmungen abgeleiteten) übereinstimmen.
stärke der Säuren und Basen: Wie das obige Beispiel des Neutrali
sationsvorganges zeigt, beruht die Reaktionsfähigkeit der Säuren auf
dem Vorhandensein von Wasserstoffionen. Die Stärke der Säuren ist ganz all
gemein abhängig von dem Gehalte an Wasserstoff ionen, die in der Lösung vorhanden
sind. Je stärker dissoziiert eine Säure ist, je größer also die Zahl der Wasser
stoffionen unter sonst gleichen Umständen ist, desto stärker wirkt die Säure.
Auch hier haben die physikalischen Untersuchungen zu demselben Resultate
geführt, wie die chemischen Untersuchungen: so sind die in wäßriger Lösung
fast völlig elektrolytisch gespaltenen Halogenwasserstoffsäuren und die Salpeter
säure auch rein chemisch sehr starke Säuren. Nur wenig schwächer ist die
Schwefelsäure. Essigsäure ist eine schwache, Kohlensäure, Schwefelwasserstoff
säure, Cyanwasserstoffsäure sind sehr schwache Säuren; erstere ist wenig, letztere
sind außerordentlich wenig elektrolytisch dissoziiert.
Ebenso wechselnd verhält es sich mit den Basen. Die stärksten Basen
sind diejenigen, die am meisten Hydroxyl ionen abgeben, wie Kaliumhydroxyd,
Natriumhydroxyd; wenig ionisiert ist die mäßig starke Base Ammoniumhydroxyd,
noch weniger sind die schwachen Basen ionisiert.
Die Salze sind dagegen im allgemeinen weitgehend ionisiert, namentlich
diejenigen, die einwertige Ionen liefern, während die Salze, die in zwei- und
mehrwertige Ionen zerfallen, weniger, aber doch meist noch so stark dissoziiert
sind, daß keine analytischen Unregelmäßigkeiten (vgl, nächste Seite) auftreten.
Wenig ionisiert sind einige Halogensalze, so die des Zinks, Cadmiums und
namentlich des zweiwertigen Quecksilbers, was spater im Anschlüsse an das
Quecksilber studiert werden möge.
In einer wäßrigen Lösung von Kohlensäure sind Molekeln H 2 C0 3 ent
halten, daneben in sehr geringer Menge die Ionen H', H‘ und CO g ", ferner als
Produkte einer unvollständigen Dissoziation H' und HCO/; und schließlich ist
ein nicht unbeträchtlicher Bruchteil Kohlendioxyd C0 2 rein physikalisch gelöst
vorhanden.
In einer wäßrigen Ammoniaklösung sind NH 4 OH Molekeln gelöst, daneben
in geringer Konzentration die Ionen NH 4 ‘ und OH' und schließlich reichlich die
Molekeln NH 3 .
Farbe der Lösungen: Von den physikalischen Eigenschaften der Lösungen
sei zuletzt noch die augenfälligste, die Farbe, erwähnt. Die Farbe einer
Lösung ist von der Farbe der vorhandenen Ionen und der gelösten Molekeln
abhängig. So sind alle Cuprisalzlösungen mit farblosen, starken Säureionen
und gleichem Kupfergehalte gleich gefärbt, vorausgesetzt, daß sie genügend
verdünnt sind; ebenso je alle Kobaltosalz-, alle Nickelosalzlösungen usw.; alle
Chromate mit farblosem Kation geben gelb, alle Pyrochromate rot gefärbte