Theorie der wäßrigen Lösungen
51
4*
Lösungen. Verschwinden die färbenden Ionen, so tritt Entfärbung ein, z. B.
bei der Reduktion von Cuprisalz zu Cuprosalz.
Umsetzung in wüßriger Lösung: Die chemischen Umsetzungen
der Lösungen sind im allgemeinen Umsetzungen der Ionen. In
wäßriger Lösung reagieren demnach alle die Stoffe gleich, die ein gleiches
Ion besitzen. So wird das Barium aller Bariumsalzlösungen mit Schwefelsäure
gefällt; alle Lösungen, die Chlor als Ion enthalten, geben mit Silbernitrat in
angesäuerter Lösung einen Niederschlag von Silberchlorid. Dagegen fällt Silber
nitrat aus einer Lösung von Kaliumchlorat KC10 3 kein Silberchlorid, weil in
einer Kaliumchloratlösung keine Chlor ionen, sondern die Chlorsäureionen CIO/
enthalten sind. Silbernitrat ist also kein Reagens auf Chlor schlechthin, sondern
nur ein Reagens auf Chlor ionen. Hierin, liegt im wesentlichen die Erklärung
der sogenannten anomalen Reaktionen der unorganischen Chemie.
Eine wichtige Frage ist die: welche Ionen mehrerer Elektrolyte vereinigen
sich beim Mischen ihrer Lösungen zu ungespaltenen Molekeln, und welche Ionen
bleiben? oder in anderen Worten: welche der möglichen Umsetzungen geht vor
sich ? Die Antwort ruht in dem Satze, daß stets die möglichst wenig
dissoziierten Stoffe sich zu bilden bestrebt sind. So bildet sich sofort
beim Mischen von Säure- und Bäselösung Wasser aus den Wasserstoff- und
Hydroxylionen, weil Wasser von allen Stoffen, die entstehen könnten, am
wenigsten dissoziiert ist. Beim Zusatze von Chlorwasserstoffsäure zu Natrium
acetatlösung bleiben wesentlich Natrium- und Chlorionen in der Lösung, während
die Essigsäure anionen mit Wasserstoff ionen der Chlorwasserstoffsäure zu nicht
dissoziierter Essigsäure zusammentreten usw. Dieser Satz gilt aber nur
für den Fall, daß sich weder ein Gas noch ein Niederschlag aus
der Lösung ausscheidet; wenn das der Fall ist, so liegen die Verhältnisse,
wie wir gleich sehen werden, verwickelter.
Änderungen des Dissoziationsgrades: Der Dissoziationsgrad eines
Elektrolyten ist nicht konstant, sondern er ist von den äußeren Verhältnissen
abhängig. Je verdünnter eine Lösung ist, desto weiter geht die
Dissoziation; je konzentrierter sie ist, desto geringer ist der
Dissoziationsgrad. Hiervon kann man sich leicht durch folgenden Versuch
überzeugen, zu dem ein Salz, das im dissoziierten Zustande eine andere Farbe
besitzt als im nicht dissoziierten Zustande, verwendet werden soll. Man stelle
ein wenig einer konzentrierten Lösung von Cuprichlorid her. Da die Cupri ionen
blau, die Cuprichloridmolekeln aber gelbbraun färben, da ferner in einer kon
zentrierten Cuprichloridlösung das Salz nur zum Teile dissoziiert ist, so wird
die Lösung eine Mischfarbe von blau und gelb, also grün besitzen. Wird diese
Lösung nun allmählich mit Wasser verdünnt, so wird sie blaustichiger; bei
starker Verdünnung geht der Farbton in ein reines Blau über — entsprechend
einer vollständigen Dissoziation des gelösten Cuprichlorids. Noch auffälliger ist
der Farbumschlag bei Verwendung des schwarzbraunen Cupri bromids.
Etwas weniger deutlich zeigt sich das gleiche bei einer Kobaltochloridlösung,
die sehr konzentriert — namentlich in der Wärme — blaurot, verdünnt aber gelb
stichig rot erscheint.
Der Dissoziationsgrad eines schwachen Elektrolyten sinkt,
wenn in der Lösung die eine der Ionenarten künstlich vermehrt
wird, z. B. dadurch, daß man zu einer Salzlösung etwas freie Säure oder Base
des Salzes hinzufügt. Recht augenfällig ist dieser Einfluß bei der eben be
nutzten Cuprichloridlösung; wird nämlich zu der grünen, konzentrierten Cupri
chloridlösung etwas konzentrierte Chlorwasserstoffsäure gesetzt, so wird das
Grün gelbstichiger und geht bei starkem Chlorwasserstoffzusatze in ein reines
Gelbbraun über; denn es ist durch den Zusatz von Chlorwasserstoff die Kon