Full text: Lehrbuch der malerischen Perspektive mit Einschluß der Schattenkonstruktionen

§ 25. Die ästhetische Wirkung des perspektivischen Bildes. 125 
Bei ebenflächigen F ormen kann man sich durch die Wahl 
einer genügend großen Augdistanz vor den namentlich am Rande des 
Bildes sichtbar werdenden Verzerrungen immer schützen. Bei einer 
solchen geht aber, wie wir wissen, leicht der perspektivische Reiz ver 
loren. Es handelt sich daher hier um peinliche Abwägung. — Gefällt 
es einem Künstler, den Ausgleich der Verzerrungen durch leichte, nicht 
in die Augen fallende Kurvaturen planmäßig herbeizuführen, 
so läßt sich dagegen nichts einwenden. In meisterhafter Weise hat dies 
z. B. der Architekturmaler Karl Grab getan in seinem Bilde: „Die 
Gräber der Familie Mansfeld in der Andreaskirche zu Eisleben“.*) 
Die krumm flächigen Formen verhalten sich, wie wir 
bereits zu Anfang dieses Paragraphen gesehen haben, insofern etwas 
anders, als bei ihnen die Verzerrungen oft schon in der Nähe des Haupt 
punktes unangenehm hervortreten, wie dies z. B. bei der Kugel der 
Fall ist. Ganz unerträglich würden diese bei menschlichen Figuren 
sein; (bei genauer perspektivischer Konstruktion erhielte man Figuren, 
die nach dem Rande des Bildes zu bei zunehmender Dicke immer länger 
gezogene elliptische Köpfe haben).**) Eine befriedigende Lösung 
der Schwierigkeit könnte hier auch eine große Augdistanz nicht 
herbeiführen. Es bleibt daher bei der Darstellung einer krumm- 
flächigen Form in jedem einzelnen Falle dem ästhe 
tischen Empfinden des Künstlers überlassen, die 
Verzerrungen auszugleichen. Dies ist um so leichter, als 
bei einem einzelnen krummflächigen Körper eine Wahrung der Gerad 
linigkeit mehr oder weniger gegenstandslos wird. Der Zeichner muß 
nur stets darauf bedacht sein, den Ausgleich so vorzunehmen, daß dabei 
das nach der Glastafel-Theorie konstruierte Gesamtbild nicht gestört 
wird, bezw. daß er sich nicht in direkten Gegensatz zu demselben setzt, 
(z. B. dürfen die in § 12 unter 2 und 3 ausgesprochenen Regeln nicht außer 
Acht gelassen werden). 
Was speziell die Darstellung von Rundformen in einem 
Bilde anlangt, so könnte vielleicht nach dem Gesagten die im vorigen 
Paragraphen gegebene praktische Anleitung zur Konstruktion einer 
Rundform als überflüssig erscheinen. Eine solche Annahme wäre jedoch 
nicht richtig, denn so einfach wie z. B. bei einer Reihe gleich dicker 
kreiszylindrischer Säulen, parallel der Bildebene, die durchweg in 
gleicher Breite gezeichnet werden dürften, oder wie bei einer Kugel, 
die man kreisförmig darstellen wird, ist es nicht immer. Handelte 
es sich beispielsweise um eine auf quadratischer Platte ruhende 
*) Im Besitze der Kgl. National-Galerie zu Berlin; (das Bild ist zur 
Zeit im Kaiser Friedrich-Museum zu Görlitz.) 
**) Auf Photographien lassen sich solche Verzerrungen sehr häufig 
wahrnehmen, denn der photographische Apparat arbeitet nach der Glas 
tafel-Theorie. Bei größeren Figurenbildern wendet daher der Photograph, 
um die Verzerrungen weniger fühlbar zu machen, außer einer großen 
Distanz das Mittel an, die dickeren Personen in der Mitte und die 
dünneren rechts und links zu gruppieren.
	        
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