Full text: Lexikon der Astronomie

172 Gradmessungen (Meridiangradmessungen im Altertum). 
Unterschieds der geographischen Breiten 
der Orte A und B, so kann diese erfolgen 
durch Messung der Zenithdistanzen, die 
ein und derselbe Stern zur Zeit seines 
Durchgangs durch den Meridian in A unb 
Fig- l. 
2) 
B hat. In Fig. 1 mögen A 8 und B S' 
die von beiden Orten nach dem Stern im 
Augenblick seiner Kulmination gezogenen 
Linien sein, die wegen der großen Entfer 
nung desselben parallel sind. Da ferner 
0 D und 0 E die Vertikallinien beider 
Orte darstellen, so sind DÄ8—z und 
EßS' — z' die Zenithdistanzen des Sterns, 
und werrn man AC parallelen BE zieht, 
so ist CAS = z' und also DÄC=z—z'. 
Dieser Winkel ist aber wegen des Paral 
lelismus von AC und OE so groß wie 
AOB oder gleich dem Bogen AB in Grad- 
maß. Wir sehen also, daß derMeridianbo- 
gcn AB gleich dem Uirterschied der Zenirh- 
distanzen des beobachteten Sterns ist. Weil 
Zenithdistanz u. Höhe sich zu 90° ergänzen, 
so ist dieser Bogen auch gleich dem Unter 
schied der Kulminationshöhen des Sterns. 
Da man Zenithdistanzen und Höhen 
der Gestirne schon frühzeitig mit ziem 
licher Genauigkeit zu messen verstand, so 
lag der Gedanke, mit Hilfe von Meridian- 
bogcnmessungen den Umfang der Erde zu 
ermitteln, sehr nahe, sobald man einmal 
von der Kugelsorm der Erde überzeugt 
war. Diese Lehre ist aber im klassischen 
Altertum zuerst von Pythagoras oder sei 
nen Schülern aufgestellt worden, und es 
ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß wir 
einem Pythagoreer, Archytas von Ta 
rent, einem Zeitgenossen Platons, den 
ersten Versuch einer Bestimmung des Erd 
umfangs verdanken. Von ihm sagt der 
römische Dichter Horaz, er habe Meer 
und Erde gemessen, und vielleicht stützt 
sich auf ihn die Angabe des Aristoteles, 
daß nach den Berechnungen der Mathe 
matiker der Erdumfang 400,000 Stadien 
betrage. Einen Einblick in das Verfahren 
bei diesen ersten Versuchen gewährt uns 
die Angabe des K l e o m e d e s, eines Schrift 
stellers der römischen Kaiserzeit, der einer 
alten Schätzung des Erdumfangs mit den 
Worten gedenkt: »Denen, die in Lysimachia 
wohnen, steht der Kopf des Drachen über 
dem Scheitel, in Syene aber steht der 
Krebs im Zenith; der Raum zwischen 
Krebs und Drachen ist aber der 45. Teil 
des Meridians von Lysimachia und Syene, 
welche 20,000 Stadien voneinander ent 
fernt sind. Der ganze Kreis enthält daher 
300,000 Stadien.« Dieselbe Schätzung 
hat vielleicht auch der Mathematiker Ar 
chimeli es (gest. 216 v. Chr.) im Sinn, 
wenn er erwähnt, man habe zeigen wollen, 
daß der Erdumfang 30 Myriaden Stadien 
betrage. Übrigens ist das Ganze sehr unge 
nau: die Städte Syene am obern Nil und 
Lysimachia ans der Dardanellenhalbinsel 
liegen nicht unter dem gleichen Meridian, 
ebenso kulminierten der Kopf des Drachen 
und der Krebs nicht gleichzeitig, die Ze 
nithdistanz desselben betrug zurZeit seiner 
Kulmination in Lysimachia nicht Vis des 
Kreises oder 24°, sondern 30°oder V12, und 
dagegen ist der Breitenuntersckied beider 
Orte nur 18° oder V20 des Kreisumfangs. 
2) Die erste wirkliche Meridianmessung 
ist von einem alexandrinischen Gelehrten, 
dem Athenienser Erato st henes (276— 
196v. Chr.), ausgeführt worden. Derselbe 
maß in Alerandria die mittägige Zenith 
distanz der Sonne zur Zeit der Sommer 
sonnenwende an einer Skaphe und fand 
sie Vso deö Kreises (7° 12'); da er nun 
wußte, daß in dem 5000 Stadien weiter 
südlich gelegenen Syene die Sonne zur 
Zeit der Sommersonnenwende mittags 
bis auf den Grund eines tiefen Brunnens 
schien, also im Zenith stand, so schloß er,
	        
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