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Gradmessungen (Streit
über die Gestalt der Erde).
das Wasser aus den tropischen Gegenden
nach den ruhigern Regionen in der Nähe
der Pole abfließen und sich dort anhäu
fen. Der Straßburger Arzt Joh. Kaspar
Eisenschmidt (1656—1736) wollte so
gar in seiner 1691 veröffentlichten »Ab
handlung über die sphäroidische Form der
Erde« aus den bis dahin bekannten G.
den Nachweis führen, daß die Erde ein
verlängertes Sphäroid sei.
6) Wie Meridiangradmessungen eine
Entscheidung über die Gestalt der Erde,
bestimmter über die Form der Meridiane
geben können, erkennt man leicht aus fol
genden Betrachtungen. Welche Form auch
der Meridian haben mag, immer wird
man einen kleinen Bogen desselben an
nähernd als einen Kreisbogen und die
beiden in seinen Endpunkten errichteten
Normalen als Halbmesser dieses Kreises
betrachten können. Der Winkel, den diese
Normalen einschließen, ist daher der zum
Kreisbogen gehörige Zentriwinkel, ergibt
also die Größe des Bogens in Gradmaß
oder den Breitenunterschied zwischen sei
nen beiden Endpunkten an. Ein Kreis
von kleinem Halbmesser hat nun die ein
zelnen Grade, d. h. die 360. Teile des
Umfangs, kleiner als ein Kreis, dessen
Halbmesser größer ist; ersterer ist aber
stärker, letzterer weniger stark gekrümmt.
t at daher der Erdmeridian eine von der
reisform abweichende Gestalt, so wer
den die Breitengrade, gemessen durch die
Winkel, welche die Vertikallinien an den
verschiedenen Punkten miteinander ein
schließen, am kleinsten da sein, wo die
Krümmung am stärksten ist, am größten
aber da, wo die geringste Krümmung vor
handen ist, wo also der Meridian am stärk
sten abgeplattet ist. Sollte also die Ansicht
von Huygens und Newton richtig sein, so
mußten die G. um so größere Werte für
den Grad des Meridians ergeben, se wei
ter man nach N. ging, während um
gekehrt, wenn die Erde eine in Richtung
der Achse verlängerte Gestalt besitzt, die
weiter nach S. liegenden Grade größer
sein müssen. In der That glaubte der
schon erwähnte Eisenschmidt eine solche
Abnahme der Größe des Meridiangrads
vom Äquator aus nach dem Pol hin nach-
Astro nonne.
weisen zu können; seiner Angabe nach
hatte nämlich für 1° gefunden:
Eratosthenes 100 röm. Meilen in 27° geogr. Br.
Riccioli . 80 - - - 44,s - -
Picard. . 74 - - - 49 - -
Ferne! . . 73,5 - - - 49,s -
SnelliuS . 77Va - - - 52 -
Eisenschmidt suchte diesen Werten zu
genügen, indem er der Erdachse die Länge
von 10,890, dem Äquatorialdurchmesser
aber eine von 8288 röm. Meilen bei
legte. Es ist einleuchtend, daß die gegebe
nen Werte bis auf den Picardschen zu un
zuverlässig sind, um die Frage, um welche
es sich hier handelt, zu entscheiden.
Die englischen Gelehrten schlossen sich in
der Mehrheit der Lehre Newtons an, und
zumal als 1682Varin, Deshayes und
d e G l o s auf einer Expedition nach der Go-
rea-Jnsel beim Grünen Vorgebirge gleiche
Erfahrungen wie Richer in Cayenne mach
ten, galt es in England bei den meisten
für ausgemacht, daß die Erde die Form
eines abgeplatteten Rotationsellipsoids
habe, daß also die Meridiane alle gleiche
Ellipsen seien, welche die in die Erdachse
fallende kleine Achse gemeinsam haben,
während die große Achse ein Durchmesser
des Äquators ist. Die Franzosen verhiel
ten sich zunächst mehr ablehnend gegen
diese Ansicht und hielten an der Hypothese
einer kugelförmigen Gestalt der Erde fest.
Als daher 1690 der entthronte König Ja
kob II. von England die Pariser Stern
warte besuchte und den anwesenden Aka
demikern gegenüber auf die Newtonsche
Theorie zu sprechen kam, wurde ihm die
Antwort zu teil, daß auch einige von
ihnen früher die Erde für abgeplattet ge
halten, wie Jupiter, daß aber der kreis
runde Schatten der Erde auf dem Mond
bei Mondfinsternissen das Irrige dieser
Ansicht darthue.
7) Schon Picard hatte den Wunsch ge
hegt, daß seine Gradmessung weiter aus
gedehnt würde, und dem entsprechend ver
anlaßte die Pariser Akademie eine Fort
setzung derselben nördlich bis Dünkirchen
und südlich bis Collioure, so daß der ganze
Bogen 8'/-° umfaßte. Die Arbeiten be
gannen 1683, La hi re übernahm den
nördlichen, Dom. Cassini den südlichen
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