Full text: Die Perspektive als selbständige Darstellungsweise

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Einleitung. 
bei solchem Skizzieren befleissigt, perspektivisches Betrachten und definiert es in 
der Kegel schlechtweg als ein Beschauen „von einem Punkte aus.“ 
Es ist nun eine bekannte Thatsache, dass bei perspektivischem Betrachten jeg 
liches messbare Gebilde in der Ferne kleiner erscheint als in der Nähe. — So scheinen 
die schienentragenden Schwellen eines Eisenbahnkörpers bei wachsender Entfernung 
a n L ä nge a b z u n e h m e n und die den Bahndamm begleitenden Telegraphenstangen 
an Höhe zu verlieren. 
In folgerichtigem Zusammenhänge hiermit steht die fernere Thatsache, dass 
das von den parallelen Schienen gebildete Geleise nach der „Tiefe“, d. i. nach der 
Ferne hin scheinbar enger wird und der überall gleich hoch befestigte Telegraphen 
draht dem Erdboden sic h n ä h e r t. 
In gleicher Weise erscheint dem Wanderer beim Eintritt in eine Allee deren 
fernliegender Ausgang überraschend schmal und das den Ausgang umrahmende 
Baumpaar auffallend niedrig. — Fasst er die Gipfellinien der Baumreihen 
— zwei in Wirklichkeit parallele Wagerechte — besonders ins Auge, so nimmt er 
wahr, dass sie fernhin scheinbar einander sich nähern, zugleich aber auch 
deutlich sich senken. Und fixiert er die den Gipfellinien parallelen Standlinien 
der Baumreihen, so tritt ihm an ihnen eine ähnliche scheinbare Richtungsveränderung 
entgegen; er sieht sie fernhin gleichfalls deutlich einander sich nähern, zu 
gleich aber auch merklich sich heben. .— Das Eigentümlichste aber, was er bei 
solchem Beobachten bezüglich des scheinbaren Verlaufes genannter Gipfel- und Stand 
linien entdeckt, ist, dass sie, nach der Tiefe hin bis in unendliche Ferne verlängert 
gedacht, in einem Punkte verschwinden, indem sie in diesem Punkte zusammen 
zutreffen und aufzuhören scheinen. 
Anmerkung. Besserer Anschaulichkeit wegen wollen wir uns die unendlich ferne Grenze 
des Weltenraumes im „Himmelsgewölbe“ gegeben denken und dieses uns vor 
stellen als eine überaus grosse, die Erde umgebende Hohlkugel, deren Mittelpunkt unser 
(des Beschauers!) Auge ist, und deren Innenfläche zur Nachtzeit vom Sternenheere belebt wird. 
Die hiermit angedeutete Erscheinungsthatsache ist das Grundprinzip jeglichen 
perspektivischen Darstellens. Ihre Nichtexistenz hätte die Nichtexistenz der gesamten 
hier entwickelten Darstellungsmethode — die Nichtexistenz der Perspektive —zur Folge. 
Lenken wir des Abends von einer Höhe aus unser Augenmerk auf die 
Laternenreihen der verschiedenen Strassen einer Grossstadt, so bürgt uns aufs sicherste 
schon der Augenschein für die Existenz der beregten Erscheinung. — Hier sei 
für diese Existenz auch der Nachweis geliefert: 
Die Fixsterne erscheinen im Teleskope ’) des Astronomen sowohl, wie dem 
blossen Auge des Beschauers als winzig kleine Punkte — als Punkte im mathema 
tischen Sinne. Dennoch aber sind diese Sterne mächtige Körper — Sonnen ferner 
Weltenräume — und zwar Sonnen, die unsre Sonne oft, die Erde aber stets an 
Grösse übertreffen. Ziehen wir bloss diese ihre Grösse in Betracht, so dürfen wir an 
nehmen, dass sich auf ihnen in ähnlicher Weise Städte und Länder ausbreiten, wie 
solche bald in dieser und bald in jener Gestalt das Erdenrund bedecken. 
') Da der Zeichner die darzustellenden Objekte mit blossem Auge, d. h. ohne Fernrohr und 
dergl. zu betrachten hat, hätten wir uns jedes Wort über die teleskopische Erscheinung der 
Fixsterne sparen können. Wir thaten es deshalb nicht, weil der Hinweis auf diese Erscheinung unsre 
Beweisführung unterstützen dürfte.
	        
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