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Die Luftperspektive. A. Theorie.
Die unter A und B beregten Erscheinungen sind bezw. dieselben, die wir an,
Weiss (Licht) und Schwarz (Lichtabwesenheit) und entsprechend auch an den übrigen
Farben beobachten können, wenn wir sie bald aus geringer, bald aus weiter Ferne zu
sehen bekommen, vermögen somit die eigenartige Umstimmung zu kennzeichnen, die
eine Farbe zufolge des Gesetzes von der Luftperspektive erfährt
Jegliche zufolge des Gesetzes von der Luftperspektive hervorgerufene U m -
Stimmung einer Farbe beruht ausschliesslich auf dem Einflüsse
der atmosphärischen Luft und ist eine scheinbare. — Jener Einfluss jedoch
ist seiner Stärke nach „unendlich vielen Motifikationen unterworfen.“ — „Die Jahres
und Tageszeit, die Beschaffenheit des Wetters, Dünste, Wärme, Kälte, Wolken, Rauch,
Staub und tausend andere Zufälligkeiten haben einen beständigen Einfluss hierauf. Hier
tritt ganz besonders der Fall ein, dass sich der Künstler durch ein aufmerksames Stu
dium der Natur in Verbindung mit einem gebildeten Geschmacke leiten lasse.“ Hetsch.
2. Das Gesetz von der Reflexion: Beleuchtete Flächen und er
leuchtete Luftmassen senden, wenn sie eine rote Farbe haben,
rote, wenn sie eine blaue Farbe haben, blaue, wenn sie eine grüne
Farbe haben, grüne u. s. w. Reflexionsstrahlen aus und erzeugen
Reflexe, die je nach der Stärke der Grundfärbung der reflexem
pfangenden Flächen mehr oder weniger einen Schein bezw. ins
Rote, ins Blaue, ins Grüne u. s. w. aufweisen.
Jegliche zufolge des Gesetzes von der, Reflexion hervorgerufene Umstim
mung einer Farbe unterliegt nur teilweise dem Einflüsse der atmo
sphärischen Luft und ist eine wirkliche.
3. Das Gesetz vom Kontrast: Zwei nebeneinander s t e h e n d e F a r b e n
„h e b e n“ einander, wenn sie Kontrastfarben sind, und „hemme n“
einander, wenn sie es nicht sind.
Steht z. B. Rot neben der zugehörigen Kontrastfarbe Grün, so lässt es diese
kräftiger und brillanter erscheinen, als sie wirklich ist; und wiederum Grün lässt
das ihm benachbarte und mit ihm kontrastierende Rot kräftiger und brillanter er
scheinen, als dies wirklich ist. Steht aber neben Rot eine Nicht-Kontrastfarbe, z. B.
Orange, so beeinträchtigen beide einander in ihrer Wirkung.
Jegliche zufolge des Gesetzes vom Kontrast hervorgerufene Umstimmung
einer Farbe steht nicht mehr im Zusammenhänge mit dem Einflüsse
der atmosphärischen Luft, sondern beruht auf optischer Täuschung.
Auch sie ist eine scheinbare.
Fassen wir das über Luftperspektive Gesagte noch einmal zusammen, so gelangen
wir zu folgendem Schlusssatz:
I. Bei einfarbigen schattierten Bildern hat man zu rechnen mit
einer dreifachen Abtönung und einer einfachen Aufhellung in der
Stärke von Licht und Schatten, nämlich
1. mit der scheinbaren Abtönung zufolge des Gesetzes von der Luft
perspektive,
2. mit der wirklichen Aufhellung und Abtönung zufolge des Ge
setzes von der Reflexion und
3. mit der scheinbaren Abtönung zufolge des Gesetzes vom Kontrast.