Full text: Lehrbuch der Schattenkonstruktion und Beleuchtungskunde

Kapitel 1. Artikel 6, 7. 
müssen überall aufgesucht werden; aber verhältnismässig 
selten und fast nur im Kunstgewerbe und in der Monu 
mentalarchitektur verleiht die karge Praxis Zeit und Mittel, 
ein auszuführendes Gebilde zuvor mit seinen feineren 
Lichtstufen zu schattieren. 
Darstellungen aus dem Maschinenbau, aus dem Ge 
biet der wissenschaftlichen Instrumente und Modelle, aus 
dem Heizungs- und Beleuchtungswesen und anderen ver 
wandten Zweigen des technischen Gestaltens werden schon 
in kleinerem Massstab oft eingehender schattiert, wenn 
auch nur nach Schätzung oder an der Hand der Photo 
graphie des schon Ausgeführten. Doch ist selbst für dieses 
nur gefühlsmässige oder nachbildende Schattieren das 
Studium der-Beleuchtungskunde die beste Grundlage, und 
sogar die künstlerische Formenmodellierung auf Papier 
oder Leinwand mit Hilfe von Licht und Schatten kann in 
der Kenntnis ihrer Gesetze schätzbare Förderung finden. 
Streng richtige, mit mathematisch abgeleiteten Licht 
stufen schattierte Bilder wären endlich ein gutes Hilfsmittel 
zur Deutlichkeit und Anschaulichkeit bei Vorführung vieler 
mathematischer Flächen und Körper im Unterricht; es mag 
hiermit zur Verwertung der Beleuchtungskunde auch in 
dieser Richtung eine Anregung gegeben sein. 
. Die technischen Gebilde weisen fast ausschliesslich 
mathematisch bestimmte Flächen auf, nämlich Ebenen, 
Cylinderflächen, Kegelflächen, Kugelflächen, Drehungs 
flächen aller Art, Schraubenflächen, Wendelflächen u. s. f. 
Wenn nun auch über die Richtung der Lichtstrah 
len, die eine solche Fläche treffen, eine bestimmte An 
nahme gemacht wird, so ist damit offenbar entschieden 
und durch geeignete Operationen mathematisch bestimm 
bar, welche Teile der Fläche vom Licht getroffen wer 
den und welche nicht, ferner unter welcher Neigung 
die Lichtstrahlen an einem bestimmten Punkt der Fläche 
diese treffen. Die Operationen mit Zirkel und Lineal, die 
zur Bestimmung der Licht- und Schattengrenzen, be 
ziehungsweise der Neigung der Lichtstrahlen gegen die 
verschiedenen Flächenteile beigezogen werden, fallen in 
das Gebiet der darstellenden Geometrie: Schatten 
konstruktionen und Beleuchtungskunde sind also Anwen 
dungen der darstellenden Geometrie und müssen 
notwendig die Kenntnis der Grundoperationen dieser Wis 
senschaft voraussetzen. Doch wird im folgenden der Er 
klärung einer jeden Gruppe von Problemen der Schatten 
konstruktion eine kurze Fassung derjenigen Sätze und 
Betrachtungen der darstellenden Geometrie, welche bei den 
Lösungen zur Geltung kommen, vorangestellt werden. 
Parallelbeleuchtung und Centralbeleuchtung. 7. 
Eingebürgerte Lichtstrahlrichtung der ersten. 
Die Quellen des direkten oder unmittelbar auf die 
Körper treffenden Lichtes sind entweder Sonne und Mond, 
oder künstliche Lichter. Die Lichtstrahlen gehen von den 
Lichtquellen geradlinig und radial nach allen Richtungen 
des Raums, und bei der Beleuchtung durch künstliches, 
nahestehendes Licht, die jedoch bei technischen Darstel 
lungen selten vorausgesetzt wird, ist das radiale Ausein 
anderstreben der Strahlen wohl zu beachten. Anders ist 
| es bei der Sonne. Bei der grossen Entfernung dieser 
Lichtquelle und dem grossen Durchmesser der Sonnen 
kugel ist das Divergieren oder Auseinanderstreben der 
Sonnenstrahlen für die Beleuchtungen auf der Erde gleich 
Null; das heisst die Sonnenstrahlen sind als ein System 
unendlich vieler Parallellinien in die Schattenkonstruk 
tion einzuführen, und es ist nur noch über die Richtung 
des Sonnenlichtes für den einzelnen Fall der Darstellung 
eines Körpers eine Annahme zu treffen. Für das Schat 
tieren technischer Gebilde wird diese Richtung fast immer 
| so gewählt, dass die Projektionen des Lichtstrahls auf den 
beiden Grundebenen je einen Winkel von 45 0 mit dem 
Grundschnitt bilden, und zwar so, als ob das Licht über 
die linke Schulter des Beschauers auf den dargestellten 
Körper fallen würde. Erfahrungsgemäss erweist sich diese 
Annahme für die meisten Darstellungen als günstig; auch 
erleichtert sie die Konstruktion wesentlich gegenüber andern 
Winkeln mit den Grundebenen, weil man den Winkel von 
45 0 an den Schiebdreiecken hat und weil die Richtung 
von 45 0 in den Horizontalprojektionen oder Grundrissen 
technischer Gebilde ohnehin eine Rolle spielt. Es ist nicht 
ausgeschlossen, auch noch andere Lichtrichtungen für das 
Schattieren beizuziehen, und es giebt Fälle, wo man mit 
etwas steileren Lichtstrahlen, etwa 60 n im Aufriss bei 45 
oder 6o° im Grundriss, oder auch mit flacherer Neigung 
von nur 30 0 bessere Bilder erzielt; aber die zuvor be 
schriebene ist weitaus die häufigste und in allen Ländern 
eingeführt. Sie wird in der Folge immer vorausgesetzt 
werden.
	        
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