Einleitung.
§. 1. Die Vermessungskunde, Geodäsie, praktische Geometrie, auch
Feldmesskunst genannt, ist jener Abschnitt der angewandten Mathematik,
welcher uns lehrt, die Gestalt und Größe kleiner oder größerer Theile der
Erdoberfläche zu ermitteln, die gegenseitige Höhenlage einzelner Punkte zu
bestimmen und die durchgeführten Aufnahmen bildlich darzustellen.
Man kann hiernach den Lehrstoff der Vermessungskunde in folgende
Abtheilungen zergliedern:
I. Das Feldmessen;
II. das Nivellieren;
III. das Situationszeichnen und die Terrain-Darstellung.
Je nachdem sich die Vermessung über ganze Länder oder nur über
kleine Theile der Erdoberfläche erstreckt, unterscheidet man die höhere und
die niedere Geodäsie. Bei den Aufnahmen, welche in das Gebiet der höheren
Geodäsie gehören, wird die Kugelgestalt der Erde in Rechnung gezogen,
während diese im Bereiche der niederen Geodäsie zumeist unberücksichtigt
bleibt, da sie keinen wesentlichen Einfluss auf die Genauigkeit der durch
zuführenden Arbeiten ausübt.
Wir haben es im Umfange dieses Lehrbuches nur mit den Ver
messungsarbeiten letzterer Art zu thun, d. h. mit den Aufnahmen kleiner
Theile der Erdoberfläche, welche in diesem Falle, abgesehen von den vor
handenen Unebenheiten des Terrains, nicht als sphärische oder sphäroidische
Fläche, sondern als eine Ebene aufzufassen ist.
Abtheilung: I.
Das Feldmessen.
§. 2. Allgemeine Bemerkungen. Das Feldmessen beschäftigt sich
mit der Aufnahme kleiner Theile der Erdoberfläche als: einzelner Gemein
den, Besitzungen, Grundstücke, Straßen, Flüsse. Auch gehören hierher die
Absteckungen von geraden Linien und Bögen für Bauten von Verkehrswegen,
das Abstecken der Schnurgerüste für Neubauten u. s. w.
Unter einer Situations-Aufnahme versteht man das Ausmitteln der Ge
stalt und Größe der aufzunehmenden Flächen.
Denkt man sich durch einen Punkt eine mit der Erdkugel concentrische Kugel
fläche gelegt, so heißt diese der wahre Horizont, während jene Ebene, welche die
Kugelfläche in diesem Punkte berührt, der scheinbare Horizont desselben Punktes
genannt wird. Der scheinbare Horizont eines Punktes steht senkrecht auf dem Lothe