Full text: Einführung in die Grundlagen der Geometrie (2. Band)

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Fünfter Abschnitt. § 8. 
spielen. Da tritt uns die auffallende Thatsache entgegen, dafs die 
Beweise für die Richtigkeit einer Konstruktion stets eine Lücke 
besitzen, die nur vermittelst des Princips der Stetigkeit ausgefüllt 
werden kann. Wenn Euklid z. B. über der gegebenen Grund 
linie AB ein gleichseitiges Dreieck konstruieren will, so beschreibt 
er zwei Kreise, die beide die Strecke AB zum Radius haben, und 
von denen der eine in A, der andere in B einen Mittelpunkt 
hat; der Schnittpunkt dieser beiden Kreise liefert den dritten 
Eckpunkt des Dreiecks; aber gerade dafür, dafs die Kreise ein 
ander schneiden, fehlt jeder Nachweis. 
Überhaupt werden gerade Linie und Kreis in jeder Kon 
struktions-Aufgabe benutzt. Demnach sollte man denken, dafs die 
Lehre über den Schnitt eines Kreises mit einer geraden Linie 
oder mit einem zweiten Kreise besonders eingehend behandelt 
wäre. Aber dem ist nicht so; gerade diese Teile gehören zu 
den schwächsten in dem sonst so vorzüglich angelegten Lehr 
gebäude. Der Beweis des überaus einfachen Satzes, dafs zwei 
Kreise ganz zusammenfallen, wofern sie den Mittelpunkt und einen 
Punkt des Umfanges gemeinschaftlich haben, wird in mehrere Teile 
zerlegt, von denen jeder zahlreiche Erwägungen erfordert. Zwar 
nimmt die Untersuchung über die gegenseitige Lage zweier Kreise 
einen bedeutenden Raum' ein; aber wir vermissen gerade die 
jenigen Sätze, die für die Anwendungen am wichtigsten sind; so 
fehlen die Bedingungen dafür, dafs zwei Kreise zwei oder einen 
oder keinen Punkt gemeinschaftlich haben. Demnach leiden alle 
Konstruktionen bei Euklid an der Lücke, dafs man nicht weifs, 
ob die benutzten Kreise und Geraden einander schneiden. Selbst 
die Konstruktion des Dreiecks aus den drei Seiten ist von diesem 
Mangel nicht frei; wohl wird darauf hingewiesen, dafs jedesmal 
die Summe zweier Seiten gröfser sein mufs als die dritte; aber 
den Nachweis, dafs unter dieser Bedingung die Konstruktion stets 
möglich ist, sucht man vergebens. 
Eine ähnliche Lücke findet man in der Stereometrie, wo 
ohne jeden Versuch eines Beweises sehr häufig von dem Satze 
Gebrauch gemacht wird, dafs zwei Ebenen entweder parallel sind 
oder sich in einer geraden Linie schneiden. 
2. Die neueren Lehrbücher leiden meistens nicht an dem 
erwähnten Mangel, indem sie für die soeben erwähnten Sätze
	        
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